Sängerin und Kabarettistin Ingrid Diem | Credit: Ingrid Diem

Kabarettistin Ingrid Diem im Interview über Selbstliebe, Blinddates und Bruce Will-es

“Schönheit ist was Ganzheitliches – wenn Horizont, Intellekt, Persönlichkeit und Humor Teil der Bewertung wären – welche Menschen würden dann die Covers zieren?” Ingrid Diem

Leseliebling | Erstveröffentlichung Sommer 2020

Die Wiener Sängerin und Kabarettistin Ingrid Diem rockt mit Selbstbewusstsein und Leichtigkeit die Bühne. Ihr Programm “Wieviel Frau darf’s denn sein?” ist ein Mix aus Anekdoten über Diäten, Ernährungsformen und Online-Dating. Sie trifft damit den Zeitgeist, spricht vielen Frauen aus dem Herzen. Ihr Song “BMI” ist ihre musikalische Verarbeitung von Jahren des Haderns mit ihrem Körper. Sie macht damit einen Schlussstrich unter die Selbst-Ablehnung, dem ständigem Nörgeln über sich und dem von außen beschämen.

Die Österreicherin ist Comedian, Coach und zugleich auch Autorin. Am stärksten erfüllt es ihr Herz, wenn jemand nach einem ihrer Coaching-Gespräche, nach einer Show oder einem Song von ihr berührt oder gelöst ist, wenn sie damit ihre Zuschauer|innen inspirieren konnte oder sie eine wichtige Erkenntnis hatten.

Ingrid, hast du einen “weltlichen” Beruf oder hat es dich gleich ins Show Business gezogen?

Ingrid Diem: Ich hab Gesang studiert und bin ich seit meinem 18. Lebensjahr immer hauptberuflich auf der Bühne unterwegs. Daneben unterrichte ich Gesang an der Popakademie, singe Studiojobs, schreibe Pressetexte, gebe EFT- und Quantensessions und bin Selbstbewusstseins- und Datingcoach für Frauen.

Du bist stimmgewaltig, man nennt dich die österreichische Adele. Warum keine reine Gesangskarriere?

Ingrid Diem: Meine eignen Songs auf meinem Debutalbum hab ich erst mit 35 veröffentlicht. Seit ich 18 war, war ich ständig gut gebucht und unterwegs mit und für viele andere Künstler. Ich hätte entschieden „Stop“ sagen müssen um mich auf meine Solo-Karriere zu fokussieren. Den Drang hatte ich damals aber nicht. Ich sehe Singen in meiner Berufung als einen Teil von vielen und hab das immer so gespürt.

“Humor öffnet Herzen, lenkt ab, spendet Trost und schenkt dem Körper Pause und Leichtigkeit ….” Dieser Satz stammt von dir. Fällt es dir leicht humorvoll zu sein?

Ingrid Diem: Ich hab vor einer riskanten OP mit dem Anästhesisten gescherzt 🙂 Ja, es fällt mir mittlerweile leicht, weil es sich wesentlich schöner und lockerer lebt. Ich bring mich selbst und andere gerne zum Lachen, es ist gut für die Gesundheit und nimmt den Stress aus vielen Situationen.

tb

Wie erging es dir während des Lockdowns?

Ingrid Diem: Die ersten Tagen waren hart, weil ich permanent Stornierungen bekam bis Dezember. Da sitzt du allein mit Tochter am Land und schluckst mal ganz schön. Ich hab mich dann mit positiven Zitaten in den Schlaf gelesen. Dann aber hab ich mit Freunden eine WhatsApp Gruppe gegründet, wo wir täglich unsere Dankbarkeit rein schreiben. Anfangs waren das Sachen wie „schönes Wetter“, dann wurde es immer mehr und plötzlich wachst du dankbar auf. Alles ändert sich. Dann folgen Geschenke, kleine und große Wunder.

Ich hab mir täglich gesagt, dass ich als Siegerin aus dieser Krise raus gehen werde. Dann hab ich mit meinen Teilzeitdivas eine Comedy-Revue „Blinddate mit Bruce Will-es“ geschrieben und danach mit meiner besten Freundin ein Buch samt Seminar-Reihe dazu geschrieben. Ich hab die geschenkte Zeit total genutzt und begann, täglich zu Wandern. So gesehen wurde der Lockdown zum Geschenk.

Selbstliebe ist in deinem Leben ein sehr großes Thema, das du in deinen Songs und auch deinem Comedy-Programm verarbeitest. Andererseits rockst du mit viel Selbstbewusstsein und Leichtigkeit die Bühne. Wie passt das zusammen? Warum beschäftigt dich das Thema Selbstliebe so sehr?

Ingrid Diem: Ich musste mich mit dem Thema beschäftigen, um überhaupt in der Lage zu sein, meine Kreativität vor Publikum ausleben zu können. Ich wuchs in einer sehr strengen Religionsgemeinschaft auf und hab als Kind 1000e male  „Sünde“ und „Schuld“ von allen mich umgebenden Erwachsenen gehört. Wenn man künstlich klein gehalten wird, und man lernt, dass man von sich selbst heraus nur sündigt, hat man einen langen Weg, das alles zu therapieren und zu berichtigen. Ich hab so viele Jahre mit Scham und Schuld verbracht, es war wirklich genug und an der Zeit, das abzulegen. Die Bühne war früher der einzige Ort, wo ich authentisch war. Da war ich viel selbstbewusster als im Privatleben.

Ich hab schnell gemerkt, dass ich Frauen ermutige, wenn ich mich befreit und total genießend auf der Bühne bewege, und meinen Körper nicht in Wallegewändern verstecke.

Ich hatte Lust, mich endlich frei und wohl zu fühlen und nicht mehr klein und schuldig. Daher hat mich das Thema lange begleitet. Jetzt begleitet es mich mehr insofern, als dass ich andere Frauen dabei unterstütze, auch befreit sein oder singen zu können.

Hat es lange gedauert bis du dich selbst lieben konntest?

Ingrid Diem: Ja, hat schon einige Therapien und Coachings über Jahre gebraucht. 🙂 Ich hatte so viele Sätze der Herren meiner Religionsgemeinschaft gespeichert „Jesus weint, wenn er dich sieht“, „dein Körper zerstört Ehen und verleitet Männer zur Sünde“, … wenn du das als Kind und Jugendliche täglich hörst, teils geschrien, glaubst du es irgendwann. Das war natürlich auch ein wichtiger Grund, zuzunehmen ohne dass ich mehr gegessen hatte. Ich wollte mich abgrenzen und vermeiden, dass mich wer begehrt. Ich musste als Erwachsene von Null an lernen, was mich ausmacht, dass ich liebenswert, intelligent, lustig, schnell, talentiert, verlässlich, kompetent, … bin und, dass ich mich drüber freuen darf. Es war so eine Überwindung, „Ja“ zu meiner Statur zu sagen, die mir immer als „sündig“ eingepredigt wurde.

Aber jetzt bin ich so dankbar für meine weibliche Statur und liebe sie und find mich absolut gelungen, innen wie außen. Ich definiere mich nicht mehr über Kommentare, Meinungen von anderen oder Bewertungen. Das sind deren Themen. Inneren Frieden, Versöhnung mit dir selbst und ein tiefes „Ja“ zu dir kann dir niemand nehmen. Es war bei mir hart erarbeitet, ein langer Weg und daher weiß ich, dass es wirklich zu schaffen ist. Ich kann das alles nun verwenden, wenn ich Frauen auf ihrem Weg dorthin begleite.

Du bist mit “Wieviel Frau darf’s denn sein?” wahnsinnig erfolgreich durch Österreich getourt. Was war das Erfolgsgeheimnis des Programms? Warum ist jetzt damit Schluss?

Ingrid Diem: Meine Show war eine Mischung aus Anekdoten über Diäten, Ernährungsformen und Online-Dating. Es war für Frauen und Männer leichtgängig anzuhören, ich hatte auch drei eigene Songs dabei und hab’s sehr genossen. Dass es fast immer ausverkauft war, war eine super Erfahrung. Aber nach 1,5 Jahren ist nun Zeit für was Neues. Und aktuell kann man ja Corona-bedingt nicht normal Kabarett spielen.

Verrätst du uns ein paar Insider zu deinem nächsten Programm? Hast du auch Tour-Termine in Deutschland?

Ingrid Diem: Ich hatte Bock auf mehr und werde ab 2021 als Teilzeitdivas (zu Dritt mit Dagmar Bernhard und Ursula Gerstbach) eine Comedy-Revue auf die Bühnen bringen. „Blinddate mit Bruce Will-es“. Es wurde ein Stück voller Anekdoten und umgetexteter Welthits, Choreos und Comedy über einen Mann, der drei Frauen gleichzeitig datet. Ein sehr aktuelles Thema und dank der bekannten Hits und der sehr gut gezeichneten Charaktere (wir spielen in Rollen) wird es extrem lustig. Wir haben beim Schreiben Tränen gelacht und viele Liter Prosecco gebraucht und ständig per Skype angestoßen. 🙂
Wir haben noch keine Termine, da es aktuell schwer ist, welche zu fixieren, aber planen Deutschland auch zu bespielen.

Es gibt gerade viele Bewegungen gegen Bodyshaming und für die Akzeptanz von Körpervielfalt. Auf Social Media gibt es viel Zuspruch. Glaubst du, das ist nur eine Blase oder ist unsere Gesellschaft tatsächlich soweit, das sich zeitnah etwas ändern wird?

Ingrid Diem: Ich glaube, dass es zwei Extreme gibt, die sich parallel entwickeln werden. Der „immer schöner und perfekter“ Kult, wo es nur mit OPs und täglichem Fitnessplan geht und der aufgrund des Zeitaufwands kompletter Lifestyle ist. Und die andere Bewegung, wo Diversität geschätzt und gelebt wird und wo immer weniger drüber nachgedacht wird, weil es so normal ist, dass wir nicht alle gleich gebaut sind und gleich aussehen. Ich denke, dass sich beides zuspitzen wird. In meiner Welt, in meinem Umfeld ändert sich tatsächlich was.

Hast du einen ganz privaten Tipp für unsere Leserinnen?

Ingrid Diem: Tägliche schriftliche Dankbarkeit für Kleinigkeiten ist so leicht, überall durchführbar, kostet nichts und ändert das Leben von Grund auf. Plötzlich bekommst du immer mehr Gründe geliefert, dankbar zu sein, wie von selbst. 🙂 Ich liebe es!

Ingrid Diem

ist eine Wiener Sängerin und Kabarettistin. Sie studierte Musik und sang fast 20 Jahre lang mit musikalischen Größen wie Wolfgang Ambros, Maya Hakvoort, Leftboy, Peter Herbolzheimer Bigband und Andy Borg. Im größten Gospelchor Europas war sie Solistin, sang zuletzt als eines der Rounder Girls. Nach Tourneen durch die USA und Europa veröffentlichte sie 2017 ihr Debut-Album mit deutschem Pop und Soulsongs. Ein Jahr später erschien ihre Single „BMI – Bodymassindex“, eine humorvolle Abrechnung mit Diäten. Über „BMI“ wurde in den Medien Österreichs ausführlich berichtet, auf der Berlin Fashion Week hatte sie einen Auftritt. Die Tageszeitung „heute“ nannte Ingrid Diem eine Ikone der Anti-Body-Shaming-Bewegung. Es folgte daraufhin ihr erstes eigenes Kabarettprogramm „Wieviel Frau darf`s denn sein?“ Im Herbst 2020 feierte Ingrid Diem mit ihrem Comedy-Concert „Love to go“ Prämiere und zudem wurde ihr erstes Buch veröffentlicht. 2021 spielt sie als „Olga“ mit in der ersten Musikcomedy-Revue, geschrieben hat sie das Stück gemeinsam mit den Teilzeitdivas.

Headerfoto:
Credit: Ingrid Diem – Fotograf: Andreas Hochgerner und Bernhard Eder 

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