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Exklusiv: Plus Size Model Clém über Schlankheitskult trotz Diversity und dem achtsamen Umgang mit Influencern

Credits: rockienolan | Instagram

Clémentine Desseaux fotografiert von Rockie Nolan.

Excuse-moi, kenne ich dich nicht aus der Werbung? Clémentine Desseaux ist international gefeiertes Plus Size Model, Bloggerin, Unternehmerin und Aktivistin. Wie sie über den Schlankheitskult der französischen Modeszene denkt, warum sie jeden Tag einige Stunden im Kalender blockiert und wie sie mit Hatern online und im echten Leben umgeht, erfahrt ihr hier!

Du bist ein international erfolgreiches Plus Size Model, Bloggerin, CEO einer Brand Strategy-Agentur mit Sitz in New York und außerdem noch Gründerin des All Womxn Projects, einer Organisation die Frauen eine digitale Plattform bietet, um Vielfalt positiv in Social Media darzustellen und sich gegenseitig zu stärken. Woher nimmst du die Zeit?

Clém: (Lacht) Das werde ich oft gefragt! Ich bin mir ehrlich gesagt auch nicht ganz sicher, wie ich das mache. Es klingt immer nach so viel, aber tatsächlich denke ich schon über das nächste Projekt nach. Ich liebe es einfach, etwas Neues zu schaffen. Ich bin besonders happy, wenn ich an mehreren Projekten gleichzeitig arbeiten kann. Wenn es aber darum geht, Zeit für mich selbst zu nehmen, ist das natürlich eher schwierig. Ich neige dazu, meine Arbeit und alle möglichen Projekte zu priorisieren, bevor ich mir dann irgendwann Zeit für mich zum Entspannen und zur Selbstpflege nehme. Was auf lange Sicht natürlich zum Problem wird. Aber je älter ich werde und desto mehr ich dazu lerne, desto stärker priorisiere ich mich selbst. Ich gehe sicher, dass ich einige Stunden jeden Tag nur für mich und meine persönlichen Bedürfnisse habe. Ich muss es zwar immer noch in den Terminkalender einplanen, es ist also bei weitem noch nicht selbstverständlich … aber ich arbeite daran und es wird besser.

Du hast mal gesagt, New York sei die ultimative Stadt, um als Frau etwas in Bewegung zu setzen. Ist der Diversity-Gedanke dort stärker angekommen als in anderen Städten/Ländern?

Clém: Oh ja, der Diversity-Gedanke und die ganze Body-Positivity-Bewegung ist hier bereits viel weiter als in jeder anderen Stadt, in der ich bisher war. Und viel stärker als in Europa, das ist sicher. Ich habe das Gefühl, dass alles hier seinen Ursprung hat, weil hier einfach die richtigen Leute aufeinander treffen und es in die Welt hinaus tragen. Ich dachte früher immer, dass New York der Place To Be ist, wenn du etwas aufbauen willst. Mittlerweile bin ich mir zwar nicht mehr sicher, ob das auf jede Branche zutrifft, aber was mich angeht, hat sich das bewahrheitet.

In Filmen und Fotostrecken über den französischen bzw. Pariser Modestil sieht man eigentlich nie Plus Size Frauen. Alle sind schlank und fast etwas androgyn. Existieren vielleicht gar keine Plus Size Frauen in Paris?

Clém: (Lacht) Nun ja, eine durchschnittliche Französin trägt Größe 42/44. Eigentlich sind wir also schon eine curvy Nation. Ich meine, was erwartet ihr … Wir essen täglich Brot und Käse. Genauso wie NYC nicht repräsentativ für die USA steht, ist Paris nicht repräsentativ für Frankreich. Frauen in Paris sind schlanker und es ist auch nicht gerade leicht curvy Mädels in den Straßen zu finden, weil die üblicherweise versuchen sich zu verstecken.

“Das liegt an unserer Kultur. Curvy Frauen werden nicht dazu ermutigt herauszustechen. Ihnen wird ständig gesagt, sie sollten nicht so dick sein. Also versuchen sie nicht aufzufallen.”

Bei meinem letzten Trip nach Frankreich sah ich schon einiges mehr an Body Positivity. Meistens bei jungen Frauen. Ich finde, die Generation Z ist sehr selbstbestimmt und weniger unsicher, was ihr Aussehen angeht. Mehr als alles andere wollen sie cool sein und sind bereit, der Welt zu zeigen, was in ihnen steckt. Das ist aufregend!

Du bist in Frankreich aufgewachsen und hast deinen ersten Modelvertrag in einer Pariser Agentur unterzeichnet. Nun ist Paris eher für sehr schlanke Models und die traditionellen High-Fashion-Designer bekannt. Warst du damals gut gebucht? Wie hat die Zeit in Paris deine Karriere beeinflusst?

Clém: Meine Anfänge in Paris waren alles andere als glamourös. Ich hatte nur ein paar Jobs, meist für langweilige Alt-Frauen-Kataloge. Mein einzig aufregender Job in Paris war ein TV-Werbespot für Castaluna, der mir damals viel Presseinteresse eingebracht hat und dafür sorgte, dass mein Name in Umlauf kam. Das war vor fast 10 Jahren … Wie die Zeit vergeht! Aber die Diversität, nach der ich mich sehnte, fand ich nicht in meiner Heimat. Das hat meinen Weg beeinflusst. Indem ich mich dort wo ich war unwohl fühlte, war ich gezwungen umzuziehen und mein Glück woanders zu suchen!

Nach all der Zeit, hast du das Gefühl, dass sich die französische Modeszene pro Plus Size und Diversity entwickelt?

Clém: Es verändert sich langsam etwas. Aber es geht wirklich sehr, sehr langsam und Dünnsein ist dort nach wie vor ein Kult.

Was bedeutet dir das All Womxn Project?

Clém: Das AWP ist meine Lebensaufgabe. Es ist alles an das ich glaube, verpackt in eine Organisation. Es half mir, als Model zu wachsen, als Frau und als Aktivistin. Es ist ein elementarer Teil der Person, die ich heute bin.

Du bist auf Instagram als @bonjourclem, mit @allwomxnproject und mit deiner Agentur @lesmijotes aktiv. Wie beeinflusst Social Media unser Schönheitsempfinden?

Clém: Social Media beeinflusst extrem, was wir als schön empfinden. Beim Scrollen setzen wir uns ständig tausenden von Bildern aus, die unsere Gedanken und Wahrnehmungen tagelang nachhaltig beeinflussen können. Deswegen ist es so wichtig, wem man folgt. Man darf niemals vergessen, dass wir kontrollieren können, welche Inhalte wir online sehen. Alles was nötig ist, ist ein bewusstes kuratieren. Viele Mädels und junge Frauen scheuen sich jemandem zu entfolgen, weil sie Angst davor haben, was andere von ihnen denken. Dazu kann ich nur sagen: Stell die Accounts der Leute, die auf egal welche Weise dafür sorgen, dass du dich schlecht oder minderwertig fühlst, auf stumm! Wenn du irgendwann mit deiner Entscheidung Frieden gefunden hast, entfolge ihnen komplett. Ich mache das wöchentlich und es hilft mir sehr, mich wieder darauf zu fokussieren, was ich wirklich will. Auf meinem Feed tauchen jetzt größtenteils Freunde, Essen, Hunde und Reisebilder auf!

Im Alltag gibt es immer noch Vorurteile und Abneigung, sobald es um Körper geht. Oft trifft man versteckte Hater im sozialen Umfeld, im Familien- oder Freundeskreis, und kann eine Konfrontation nicht vermeiden. Wie reagiert man am besten in einer Situation, in der jemand deinen oder den Körper eines anderen herabsetzt?

Clém: Meine Mama hat immer zu mir gesagt, dass man schlechte Menschen einfach ignorieren soll. Aber jetzt da ich selbst erwachsen bin, sehe ich es anders. Man muss sie konfrontieren. Ich bin Sternzeichen Krebs, also hasse ich eigentlich Konfrontationen. Aber es ist ein MUSS für sich selbst und andere, sowie die eigenen Überzeugungen einzustehen. Es ist nicht richtig, einfach stumm zu bleiben und zu hoffen, dass man schon irgendwie damit klar kommt.

“Ich erinnere mich an jedes Mal, wo ich Kommentare ignoriert habe und so tat, als hätte ich nichts gehört. Ich habe mich danach wie Scheiße gefühlt, als wäre ich ein verängstigtes Huhn. Ich fühlte mich beschämt.”

Es gibt mittlerweile viele Marken die auf den „Plus-Size-Zug“ aufspringen wollen. Aber statt mit Models zu arbeiten, die größere Größen tragen, werden oft ‚nur‘ die Größen 42/44 gezeigt. Ist es scheinheilig, eine Käuferschicht ab Größe 46 als Kunden zu wollen, sie aber – selbst bei Möglichkeit – nicht optisch zu repräsentieren?

Clém: Nun ja, es kommt darauf an worüber wir hier wirklich reden. Eine Größe 42 ist bei den meisten Marken bereits Plus Size. Zum Beispiel habe ich in Frankreich nie passende Klamotten in den Läden gefunden. Ich hatte nur H&M und Online Shops. Damals trug ich eine 42. Jetzt trage ich eine 44, aber es ist immer noch unmöglich Klamotten in meiner Größe in Paris zu kaufen. Ich finde schon, dass viele Marken “Plus Size” als Marketing-Werkzeug verwenden, aber diese Philosophie nicht konsequent bei ihrer Markenbotschaft oder ihrem Angebot durchziehen. Das ist erschütternd. Ebenfalls erschütternd ist, dass Marken teilweise Plus Size beginnend bei einer 42 verkaufen, die Models in den Werbekatalogen aber eine 38 tragen. Einfach weil sie sich nicht wohl bei dem Gedanken fühlen, dass ihre Kleidung an tatsächlichen Plus-Size-Körpern gezeigt und beworben wird. Plus-Size-Körper, die aber später die eigentliche Käuferschicht darstellen.

Du bist CEO einer Agentur für Markenstrategie. Ihr kreiert Fotostrecken, Videos und Lookbooks, bei denen ihr Wert darauf legt, Frauen in den Medien vielfältig und unterschiedlich darzustellen. Sind Marken entgegenkommend, wenn es darum geht durch ihre Models Diversity darzustellen?

Clém: Grundsätzlich tendieren Marken schon zu Diversity. Sie fühlen eine Art Verpflichtung. Sie haben Angst, schlecht dazustehen, wenn sie es nicht tun. Aber wenn es um Models geht, setzen sie auf eine bewährte, sichere Wahl. Also eher jemand schlankes, blond oder brünett, helle Haut oder ganz weiß … Es ist Arbeit sie umzustimmen und manchmal beharren sie auf ihrer Casting-Wahl, aber das ist eben Teil des Jobs. Am Ende entscheidet der Kunde. Manche stimmen meinen Vorschlägen zu, andere nicht. Ich kann nur jeden Tag mein Bestes geben.

Die eigenen Leistungen und Erfolge mit denen Anderer zu vergleichen führt oft zu schlechter Laune. Ein Teufelskreis, besonders wenn es um unsere Körper geht. Wie entkomme ich diesem Denkverhalten?

Clém: Oh, das ist wirklich schwierig. Als Frauen werden wir ständig verglichen. Von Männern, Magazinen, der Gesellschaft, unseren Kollegen … Und meistens geht es um unsere Körper, als ob unser Äußeres unseren Wert bestimmen würde. Aber das tut er nicht. Frauen versuchen gerade wieder zu erlernen, dass sie nicht durch ihre Körper definiert werden. Wir müssen verstehen, dass wer wir sind und was wir machen, niemanden sonst etwas angeht. Und, dass nur wir selbst für unser Glück verantwortlich sind.

Stell dir vor, dieses Interview wird von jemandem gelesen, der mit seinem Körper, aus dem ein oder anderen Grund, absolut unglücklich ist. Hast du Tipps, wie wir uns von unserem oft übertrieben selbstkritischen Körperbild lösen können?

Clém: Kuratiere dein Instagram und folge @bonjourclem sowie @allwomxnproject. Wirf einen Blick auf die Accounts, denen ich folge. Dort findest du Leute, die ein positives Körperbild vermitteln. Wenn dich etwas anspricht, einfach folgen. Finde einige Übungen zur Selbstpflege-/Liebe und finde heraus, welche dir gut tun. Sei einmal am Tag aktiv, was auch immer das für dich bedeutet. Schlafe mehr. Geh raus aus deiner Komfortzone, mindestens einmal die Woche. Das kann ein crazy Outfit bedeuten, oder eine neue Angewohnheit … Warte ab, wie du dich nach einem Monat fühlen wirst.

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