Toleranz spielt in der Mode eine immer größere Rolle. Kleidung in Plus Size anzubieten ist das Eine, Frauen mit großer Konfektionsgröße und unterschiedlichen Körperkonturen zu akzeptieren ist das Andere.
In der Styling-Doku Schrankalarm vollziehen Miyabi Kawai und Manuel Cortez eine beeindruckende Kombination aus bodytyp-konformer Kleidung, Persönlichkeit und dem authentischen Wohlfühlen durch Mode. Sie nehmen Charakter, Vorlieben und Persönlichkeit und kreiieren den Kandidatinnen einen Weg zum Mode-Wunschziel. Auf den ersten Blick geht es um Umstylings durch Mode. Genauer betrachtet transportieren sie eine Message: Mehr Toleranz für sich selbst und Mut zur Selbstliebe.
Miyabi und Manuel, wie wichtig ist euch Toleranz?
Toleranz ist die Anerkennung dessen, dass wir alle vielfältig sind und dass in dieser Vielfalt Schönheit liegt. Wir müssen nicht jedem gefallen und es ist nicht an uns, zu richten, was ein anderer als schön betrachtet. Wir lieben Vielfalt und Individualität!
In Bezug auf Kleidung und Style-Kombinationen:
Wo endet bei euch die Toleranz?
Sie endet nicht. Wir sind nicht die Modepolizei. Natürlich gibt es Kleidung, die wir nicht mögen oder Kombinationen, die wir als ungünstig empfinden, aber wir mischen uns nicht ein, es sei denn, man fragt nach unserem Rat.
Kleidung ist ein Kommunikationsmittel.
Wie findet ihr es, dass viele dieses Mittel nicht oder nur mäßig nutzen?
Man kommuniziert durch Bekleidung, ob man das nun bewußt tut oder nicht. Deswegen empfinden wir die vermeintlich verweigernde Haltung gegenüber Mode als schlichtweg schade… all das Potenzial! Hahaha… Aber mal im Ernst, man kann klassisch, sportlich, schlicht gekleidet sein, aber Bekleidung drückt unsere Persönlichkeit aus und ist das erste Kommunikationsmedium gegenüber unseren Mitmenschen. Mode muss nicht extrovertiert und trendy sein, Authentizität und Selbstliebe sind der Schlüssel zu gutem Stil.
Welches Kleidungsstück aus eurem Schrank schreit am lautesten „Das bin ich!“?
Manuel Cortez:
Das ändert sich immer mal wieder mit dem sich entwickelnden und wandelnden Modegeschmack und Präferenzen, aber bei mir werden es wohl immer Kopfbedeckungen sein. Ich liebe Hüte! Sie geben jedem Look etwas Angezogenes, Modisches.
Miyabi Kawai: Ich habe eine nicht enden wollende Liebe zu Kleidern und Blazern, aber ohne Accessoires wäre ich wohl nicht komplett. Ohne Tasche, modische Schuhe und abgestimmten Schmuck fühle ich mich nackt. 😉
Gibt es Kleidungsstücke, zu denen ihr negative Assoziationen
habt und sie daher vermeidet?
Manuel Cortez:
Hoodies! Sie sind vielleicht kein modisches No Go, aber persönlich empfinde ich sie als eines der unvorteilhaftesten Kleidungsstücke für Frauen. Ich assoziiere sie mit Teenagerjungs auf Skateboards, sie verhüllen die Weiblichkeit, tragen oftmals auf und werden leider meistens nicht modisch kombiniert, sondern mit Jeans und Turnschuhen als eine „AlltagsVerhüllungsuniform“ genutzt.
Miyabi Kawai: Boleros… Diese zwei Ärmel mit einem Verbindungsstück sind weder modisch noch modern, aber vor allen Dingen signalisieren sie, daß hier grade kaschiert wird, ergo, daß frau ihre Oberarme nicht für präsentabel hält. Ich hasse es, daß uns Frauen ständig suggeriert wird, wir würden aus Problemzonen bestehen (was soll dieses abstruse Wort überhaupt bedeuten?) und bestimmte Körperteile wären weniger vorzeigbar als andere. Wenn man sich nicht wohlfühlt, kann man zu Jacken, Blazern oder einfach Kleidungsstücken mit Ärmeln greifen und quasi nebenbei kaschieren. Boleros drücken Unsicherheit und Unzufriedenheit aus.
Wenn ihr die Kandidatin eurer Sendung kennenlernt, wisst ihr auf den ersten Blick, wie der Look am Ende aussehen wird?
Wir befassen uns ja bereits im Voraus mit der jeweiligen Kandidatin, sehen uns ihr Bewerbungsvideo und Fotos an, bestellen Sachen… dabei berücksichtigen wir ihre Wünsche, Unsicherheiten und vermeintliche No Go’s. Dann erstellen wir Styles, geben eine Richtung vor und tasten uns während des Drehs an Ihre Bereitschaft zur Veränderung heran. Priorität ist es, dass unsere Kandidatinnen sich wohlfühlen, sich nicht überrannt vorkommen und sich selbst noch erkennen. Viele werden im Laufe des Tages immer mutiger und freuen sich auf ihr neues Ich!
Inwieweit spielt euer persönlicher Style eine Rolle, wenn
ihr Kleidung für Kandidatinnen auswählt?
Natürlich sind wir nicht frei von unseren persönlichen Vorlieben, man hat eine Handschrift, aber beim Styling spielt der eigene Geschmack keine Rolle. Es geht um das Einfühlen in die andere Person, ihre Modeaffinität, ihr persönliches Umfeld, ihre Wünsche. Ein Abendkleid, wenn die Kandidatin keine Gelegenheit hat, es zu tragen, macht genauso wenig Sinn wie jemanden zu zwingen, Absätze zu tragen, wenn sie eine Fußverletzung hatte und darin nicht laufen kann. Es ist ein Unterschied, jemandem mal etwas Ungewohntes wie ein Kleid, einen Rock, ein modisches Paar Schuhe anzuziehen oder jemandem, der Lila hasst, ausgerechnet diese Farbe aufzuzwingen. Wir verändern nur so viel, wie die Kandidatin zulässt, aber versuchen dennoch, ihr Neues zu zeigen. Das funktioniert ganz gut! 😉
Welche Kandidatinnen-Verwandlung hat euch bisher am meisten beeindruckt?
Am schönsten sind immer die Veränderungen, die unsere Kandidatinnen für unvorstellbar gehalten hatten, weil sie sich diese einfach nie zugetraut hätten. Wir sagen immer, wir haben nur eine einzige Bedingung an unsere Kandidatinnen, damit unsere Arbeit funktioniert: Die Bereitschaft zur Veränderung. Denn darauf läuft es letztendlich hinaus, wir krempeln einmal Kleiderschrank, eigene Sachen, den persönlichen Style und im Bestfall die Selbstwahrnehmung um. Wenn man vorher alles super fand, braucht man uns nicht. Deswegen sind uns wohl bei Ramona und Anja aus der letzten Staffel so schöne Verwandlungen gelungen. Zwei zauberhafte Frauen, die sich selbst nicht als attraktiv wahrnehmen konnten, aber absolut offen und vertrauensvoll waren. Und wie schön und aufrecht sie am Ende in die Kamera strahlten! Aber es waren auch so viele andere tolle Frauen dabei, wir werden sie alle in Erinnerung behalten, diese Sendung verbindet.
Hängt die Schwierigkeit sich modisch zu kleiden eher mit dem Körpertyp zusammen oder mit den Hemmungen, die sich in den Köpfen vieler Frauen gebildet haben?
Die einzige Problemzone, die tatsächlich existiert, ist der Kopf. Wenn man sich einmal davon freimacht, mit Mode nur Kaschieren oder, noch schlimmer, sich verhüllen oder verstecken zu wollen, kann man Spaß an Mode haben, unabhängig von Konfektion, Bodytype oder Alter. Die Basis für einen modischen Style ist also zu aller erst Selbstliebe oder wem das vorerst noch schwerfällt, Selbstakzeptanz.
Zugegebenermaßen macht die Modeindustrie es allen Menschen außerhalb einer eng gesetzten Norm nicht gerade leicht, modische Sachen zu finden. Aber das sollte nur die eigene Kreativität anregen, international online shoppen, umnähen, pimpen, anfertigen, es gibt einige Möglichkeiten, wenn man nur will. Und durch mehr Mut und Offenheit den Markt anregen, damit dieser eine Nachfrage erkennt und langsam, peu à peu, sein Angebot erweitert.
Wer ist euer Style-Vorbild?
Manuel Cortez:
Ich habe kein bestimmtes Vorbild, aber ich orientiere mich gern an Dandies der Dreißiger und Vierziger Jahre und den Gleichgesinnten, mit denen man dank Social Media weltweit verbunden ist.
Miyabi Kawai: Mir geht es da ähnlich, ich wüsste nicht eine einzelne Person, aber ich verfolge viele Fashion und Streetstyle Blogs, Shows und Magazine und picke mir heraus, was mich persönlich anspricht und ich für mich umsetzen möchte. Vielleicht noch Iris Apfel und Diana Vreeland, weil sie für mich für Authentizität, Kreativität, Mut und Freude an Mode stehen, jenseits festgesetzter Normen.
Outfits sagen immer etwas über den Träger aus. Ihr seit sehr modebewusst, lest ihr automatisch die „Outfitsprache“ eures Gegenübers.
Das macht unterbewusst wohl jeder, denn Mode ist ja auch eine Form von Kommunikation. Wir lesen natürlich schon sehr viel bewusster die „Bildsprache“ des Gegenübers. Das hilft uns bei Schrankalarm und generell bei unserer Arbeit natürlich enorm und ist außerdem sehr spannend!
Inwieweit sind Stil und Trends verknüpfbar?
Stil ist nicht nur Mode. Stil trägt man in sich, es ist Teil der eigenen Persönlichkeit und verändert sich mit einem, aber bleibt immer man selbst. Oder wie Diana Vreeland zu sagen pflegte:
„You gotta have style. It helps you down the stairs. It helps you get up in the morning. It’s a way of life. Without it, you’re nobody. I’m not talking about lots of clothes.“
Trends verstehen wir nicht als Modediktate, sondern Anregungen! Sie nehmen Stimmungen in der Gesellschaft auf und spiegeln sie. Für uns sind sie Vorschläge, etwas Neues auszuprobieren, Styles umzuinterpretieren oder Vergangenes neu zu entdecken. Wir lieben Trends wie neues Spielzeug!
Man kann seinen eigenen Stil haben und sich an Trends ausprobieren, darin besteht kein Widerspruch. Aber man sollte Trends nicht blind folgen, sondern auf einen selbst anpassen. Und das geht nur, wenn man seinen eigenen Stil hat, in dem man Zuhause ist.
Hand auf‘s Herz!
Wie viel Zeit braucht ihr morgens, bis ihr euer Outfit für den Tag habt?
Manuel Cortez:
Nicht lang. Ich entscheide aus dem Bauch heraus, wonach ich mich fühle, natürlich auch, was für Termine ich an dem Tag habe. Meist beginne ich mit einem Kleidungsstück, einem Paar Schuhe oder ähnlichem, auf das ich Lust habe und baue ein Outfit drum herum.
Miyabi Kawai: Ich habe meistens eine Zeitlang ein bestimmtes Lieblingsteil, um das ich immer wieder neue Looks gestalte. Ansonsten ist es auch bei mir Gelegenheits- und Stimmungsentscheidend. Ich brauche definitiv länger im Bad als am Kleiderschrank! 🙂
Findet ihr den Stellenwert von Mode wichtig?
Mode ist die schönste Nebensache der Welt! Sie spielt nicht die erste Geige, aber sie kann uns unterstützen, Kraft geben und so viel Spaß machen… warum also darauf verzichten? 😉
Ein plusperfektes Dankeschön an Miyabi und Manuel. Wir wissen, dass Ihr terminlich sehr stark eingebunden. Lieben Dank, dass Ihr Euch die Zeit für unser Interview genommen habt.