Ozempic-Face hier, Abnehmspritze da: Als mehrgewichtiger Mensch kommst du nicht um das Thema Abnehmspritzen herum. Ob Social Media, TV oder Magazine, fast überall liest, siehst oder hörst du von ihnen und das nicht zuletzt weil Stars und Sternchen offen darüber berichten, dass sie sich die Spritze setzen. Vielleicht hat dir dein Arzt auch schon vorgeschlagen es doch mal zu versuchen.
– Foto: Andres Ayrton via Pexels –
Wir haben lange überlegt, ob wir etwas zu Ozempic & Co. veröffentlichen. Schließlich geht es um ein Medikament, das vielen Diabetikern das Leben erleichtern soll. Doch mittlerweile schleicht sich das Gefühl ein, es geht bei den Spritzen nicht mehr um ein Medikament, sondern um ein easygoing Lifestyle-Produkt, mit dem man mal eben Ruck-Zuck abnehmen und seinen Körper optimieren kann. Ein paar Kilos zuviel? Na dann, keine falsche Scheu, rein mit der Spritze in den Bauch. Promis machen es vor. Was ist also schon dabei? Aber ist das wirklich so einfach? Was steckt hinter dem vermeintlichen Abnehm-Wundermittel?
Abnehmspritze, was ist das überhaupt?
Wenn von „der Abnehmspritze“ die Rede ist, geht es meist um Ozempic*, produziert vom dänischen Pharmakonzern Novo Nordisk. Das Medikament enthält den Wirkstoff Semaglutid und wurde ursprünglich für Diabetiker entwickelt, um deren Zuckerspiegel konstant zu halten und den Langzeitzucker zu senken. Positiver Nebeneffekt: ein längeres Sättigungsgefühl und damit eine Gewichtsabnahme!
Was für eine Entdeckung, wo doch fast alle Abnehmen möchten. Da wurde die Pharmaindustrie natürlich hellhörig, ist doch alleine in Deutschland laut Robert Koch-Institut (RKI) über die Hälfte der Bevölkerung (46,6 Prozent der Frauen und 60,5 Prozent der Männer) von Übergewicht (einschließlich Adipositas) betroffen. Als adipös gelten 19 Prozent der Erwachsenen.
Was es mit Ozempic Face & Off Label auf sich hat
In Social Media tauchten plötzlich Posts von Ärzten und vermeintlichen Fachleuten auf, die Promi-Fotos analysierten und bei einigen der Stars und Sternchen die Anwendung der Abnehmspritze durch das sogenannte „Ozempic Face“ diagnostizierten. Gemeint ist damit ein durch den schnellen Gewichtsverlust an den Wangen eingefallenes Gesicht, das die Betroffenen deutlich älter wirken lässt. Eine Begleiterscheinung, die übrigens auch bei Magenbypass-Operationen auftreten kann.
Stimmen wurden laut, dass die Abnehmspritzen, die für Diabetiker entwickelt wurden, auch off label** adipösen Patienten verschrieben wurden. Bedeutet, die Spritze ging an mehrgewichtige Menschen, die eigentlich gar keinen Diabetes hatten. Allen voran wurden Promis ins Visier genommen. Bei Sänger Robbie Williams, den Kardashians und der Schauspielerin Mindy Kaling wurde vermutet, dass sie Abnehmspritzen zur Optimierung ihrer Körperkontur nutzen. Die TV-Moderatorin Oprah Winfrey bekannte sich im März öffentlich dazu.
Der Abnehm-Hype & seine Folgen
Teilweise war das Arzneimittel Ozempic so knapp, dass Diabetiker auf die Barrikaden gingen, weil sie selbst in ihrer Haus und Hof Apotheke das Medikament nicht mehr bekamen. Knapp waren auch die Kunststoff-Pens für die Mehrfachspritzen. Es entstand großer Unmut, teils sogar Hass auf die „nur“ adiöpsen Nutzer.
Und da nicht jeder von seinem Arzt, seiner Ärztin ein Rezept für die „Wunderspritze“ erhält, kommen vermehrt gefälschte Rezepte in den Umlauf. Auch der Schwarzmarkt für Abnehmspritzen boomt. Fatal, denn nicht immer ist in den sogenannten Fertigpens die Injektionslösung mit dem richtigen Wirkstoff, sondern beispielsweise nur Insulin enthalten. Von diesen Fälschungen geht eine „erhebliche Gesundheitsgefährdung“ aus, warnt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Auf der Website des BfArM zeigen Vergleichsfotos die Unterschiede zwischen dem Original-Pen und einer Fälschung.
Verschiedene Wirkstoffe im Einsatz
Bei Wegovy, Ozempic und Rybelsus von Novo Nordisk kommt der gentechnisch hergestellte Wirkstoff Semaglutid zum Einsatz. Er wirkt wie das körpereigene Hormon GLP-1. Er fördert die Insulinausschüttung in der Bauchspeicheldrüse, in der Leber wird weniger Glucose gebildet und der Blutzucker wird auf einem niedrigen Niveau gehalten.
Semaglutid hemmt zudem die Freisetzung von Glucagon. Die Magenentleerung verzögert sich und das Sättigungsgefühl besteht länger. Mit Dulaglutid, Exenatid, Liraglutid und Tirzepatid gibt es weitere Wirkstoffe auf dem Markt, die ähnlich wirken. Ein Freifahrtschein für das Essen hat man damit jedoch nicht. Eine Anpassung der Ernährung ist unabdingbar. In manchen Fällen geschieht dies jedoch von allein, da zum Beispiel die Lust auf Süßes, Fettiges oder Alkohol komplett verschwindet. Kann sein, muss aber nicht.
Über Selbstmordgedanken & andere Nebenwirkungen
Vielleicht hast du schon bei der Anwendung von Abnehmspritzen von mehr oder weniger starken Nebenwirkungen gehört, wie Völlegefühl, Durchfall, Verstopfung, Übelkeit und Sodbrennen. Betroffen davon sind rund die Hälfte der Patienten, wobei die Beschwerden im Laufe der Einnahme häufig rückläufig sind. Einige Experten gehen davon aus, dass die Beschwerden der Grund für die starke Gewichtsabnahme zum Start der Behandlung sind.
Vereinzelt berichten Betroffene, dass sie komplett das Hungergefühl oder die Lust am Essen verloren haben, was sie aber nicht unbedingt als negativ auf ihrem Weg zu einem „leichteren“ Leben empfinden. Bedenklich hingegen ist, dass laut der US-Arzneimittelbehörde FDA Ozempic das Risiko von Schilddrüsenkrebs erhöht. Das berichtet die Tagesschau bereits im Frühjahr 2023.
Zudem gibt es Hinweise, dass Abnehmspritzen die Psyche in Form von Depressionen bis hin zu Suizidgedanken beeinflussen können. Und spätestens da sollte man hellhörig werden. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde (Food and Drug Administration – FDA) ging Berichten über Selbstmordgedanken und selbstverletzendes Verhalten nach der Injektion von Semaglutid und anderen Appetithemmern der gleichen Wirkstoffgruppe nach, berichtet Irene Habich vom RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Gleiches tat auch die europäische Arzneimittelbehörde Ema, fand aber auf Basis der Datenlage keinen Beweis, dass die Medikamente dieses Verhalten ausgelöst hatten. Die Nebenwirkungen würden aber weiterhin überwacht. Auch die FDA stellte keinen eindeutigen Zusammenhang fest, könne allerdings nicht sicher ausschließen, dass ein Risiko besteht.
Laut Habich vom RND sind in den USA „den Verschreibungsinformationen zu Wegovy und ähnlichen Arzneimitteln Warnhinweise beigefügt, dass Selbstmordgedanken auftreten könnten. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hielt es aufgrund der Ema-Ergebnisse nicht für erforderlich, solche Warnhinweise in die deutsche Packungsbeilage aufzunehmen.“ Da fragt man sich doch warum?
Wundermittel oder schöner Schein?
Wirkstoffe wie Semaglutid, Dulaglutid, Exenatid, Liraglutid und Tirzepatid können bei ärztlicher Vordnung das Leben von Diabetikern und adipösen Menschen positiv beeinflussen. Dennoch sollte man nicht ausser acht lassen, dass derzeit noch belastbare Langzeitdaten fehlen.
Dr. med. Tim Hollstein kommt im Ärzteblatt zu dem Fazit, dass GLP-1-Agonisten wie Semaglutid ein neues Werkzeug im Repertoire der individualisierten Adipositastherapie sind. „Aber aufgrund ihrer Nebenwirkungen und der Notwendigkeit einer lebenslangen Therapie sind sie kein Wundermittel. Zudem ist eine Kostenerstattung seitens der gesetzlichen Krankenkassen aktuell nicht abzusehen, weshalb sie zur Therapie der Adipositas wohl vorerst nur einem kleinen Kreis zahlungstüchtiger oder privat versicherter Patienten vorbehalten sein werden.“
Das deutsche Gesundheits-Journal rät ausdrücklich von den Spritzen ab, wenn sie nicht ärztlich angeordnet sind. Denn nach Absetzen der Medikation verschwinden zwar Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, aber dafür kommen die Kilos „mit einem großen Knall zurück“.
Buchtipp „Abnehmspritzen“
Was ist dran an den „Wunderspritzen“ Mounjaro, Wegovy, Ozempic und Zepbound Dr. Richard Lipmann, Internist und Endokrinologe, hat das analysiert und gemeinsam mit Scout Medien sein medizinisches Standardwerk erstmals in deutscher Sprache veröffentlicht.
Auszug aus dem Inhalt
– Diabetesmedikament mit positiver Nebenwirkung
– Übersicht der Semaglutide
– Wie bewirken die Spritzen die Gewichtsabnahme?
– Auswirkungen der Spritze auf den Körper
– Gewichtserhalt nach einer Abnahme
– Neueste Studienergebnisse
– Erfahrungsberichte von Anwendern
Das Buch „Abnehmspritzen“ von Dr. Richard Lippmann ist erschienen bei Scout Medien. Das Buch hat einen Umfang von 200 Seiten und kostet 29,80 Euro.
Die ISBN lautet: 978-3-948309-13-8.
Filmtipp „South Park: Das Ende der Fettleibigkeit“
Wenn du in South Park Manie in das Thema eintauchen möchtest, solltest du dir die Folge „Das Ende der Fettleibigkeit“ nicht entgehen lassen. Kurzweilig und bitter-amüsant geht es um Cartman, der durch die Abnehmspritze endlich schlank werden möchte. Und um MILFS, die nähere Beschreibung dieses Begriffes überlassen wir gerne Netzwelt.de, die das Diabetikermedikament für ihre Lifestyle-Zwecke missbrauchen. Mit einem zugegeben ungewöhnlichen Wording vermittelt die Folge einige medizinische Details und trifft so manches auf den Punkt. Die Folge dauert 60 Minuten und läuft auf Paramount+.
*) Ozempic ist der Name eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels des dänischen Pharmakonzerns Novo Nordisk, das laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) „zur Behandlung des unzureichend kontrollierten Diabetes mellitus Typ 2 bei Erwachsenen als Zusatz zu Diät und körperlicher Aktivität angewendet wird.“
**) Laut dem gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) versteht man unter einem „Off-Label-Use“ den zulassungsüberschreitenden Einsatz eines Arzneimittels außerhalb der von den nationalen oder europäischen Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungsgebiete (Indikationen, Patientengruppen).
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