Wenn Selbstoptimierung zur Selbstsabotage wird

Neue Mythen der Selbstoptimierung, die dich garantiert nicht befreien.

– Mentorin und Autorin Rosa Koppelmann | Credit: Raisa Zwart –

Selbstoptimierung ist längst kein Nischentrend mehr. Sie hat sich leise in unseren Alltag eingeschlichen, verpackt in Podcasts, Journals, Retreats und Routinen. Was als Weg zur Selbstentfaltung begann, fühlt sich für viele längst wie ein nie endender Selbstauftrag an: sei besser, funktioniere mehr, wachse über dich hinaus.

Zwischen Leistungsdenken und Spiritualität verwischen die Grenzen. Selbstfürsorge wird zur Disziplin, Meditation zur Pflicht, Achtsamkeit zur Aufgabe. Und plötzlich ist das Streben nach einem besseren Selbst nicht mehr befreiend, sondern bedrückend. Die Frage ist nicht mehr: Was tut mir gut? Sondern: Reiche ich so, wie ich bin?

PlusPerfekt sprach mit Mentorin und Autorin Rosa Koppelmann. Sie bringt mit dem Konzept des nondualen Bewusstseins eine Perspektive ein, die tief sitzt und konfrontiert. Sie sagt: Du musst nicht mehr werden. Du darfst dich erinnern, dass du längst vollständig bist.

Rosa Koppelmann räumt mit drei weit verbreiteten, aber selten hinterfragten Mythen auf. Mythen, die sich klug tarnen – als Hilfe, als Wachstum, als Selbstverwirklichung und uns doch oft tiefer in die Entfremdung führen.

Mythos 1: Dein Mindset ist alles

Selbstoptimierung liebt das Gehirn. Es soll am besten wie ein Computer, der ein frisches Update braucht, neu programmiert, umgepolt, begradigt werden. Glaubenssätze? Löschen. Limitierungen? Umschreiben. Der Glaube dahinter: Wenn du nur das richtige Mindset hast, dann wirst du erfolgreich, glücklich und befreit. Klingt logisch, ist aber gefährlich verkürzt.

Denn das Problem beginnt genau dort, wo Denken wichtiger wird als Fühlen. Wer nur an seinem Mindset arbeitet, verpasst die tieferliegenden Ebenen der Selbstwahrnehmung: Körper, Nervensystem, Emotion. Du kannst dir hundertmal sagen „Ich bin sicher“, doch wenn dein Nervensystem im Überlebensmodus ist, glaubt dir kein einziger Zellkern. Stress, Unsicherheit und Erschöpfung lassen sich nicht wegdenken.

Was hier fehlt, ist Verbindung. Das nonduale Bewusstsein bietet hier einen anderen Ansatz: einen, der Denken und Sein in Einklang bringt. Statt deinen Verstand gegen dein Gefühl auszuspielen, entsteht ein innerer Einklang, der weit über das hinausgeht, was Affirmationen je leisten könnten. Kohärenz von Herz und Hirn ist kein Mythos, sondern messbare Realität: sie reduziert Cortisol, stärkt Resilienz und aktiviert Kreativität.

Rosa Koppelmann spricht in ihrer Arbeit nicht vom „richtigen Mindset“, sondern von innerer Wahrhaftigkeit. Es geht nicht darum, etwas zu denken, sondern etwas zu sein. Und das beginnt nicht im Kopf, sondern im Körper. Die eigentliche Befreiung liegt nicht in Gedanken, sondern im vollständigen Erleben dessen, was ist – auch, wenn es gerade unbequem ist.

Mythos 2: Selbstoptimierung ist Selbstfürsorge

Auf Instagram sieht Selbstfürsorge schick aus: Kerzen, Journals, Zitronenwasser mit Chiasamen. Was nach Entspannung aussieht, ist oft getarnter Optimierungsdruck. Auch „Me-Time“ kann zur Pflicht werden, zur nächsten To-do, zum neuen Ideal. Wer sich nicht täglich „um sich kümmert“, fühlt sich schnell falsch. Dabei war das Versprechen doch Entlastung.

Doch was passiert, wenn Selbstfürsorge sich wie Leistung anfühlt? Wenn Meditation, Achtsamkeit und Selfcare-Rituale nur ein weiterer Weg sind, um besser zu funktionieren? Dann ist der Punkt erreicht, an dem Selbstoptimierung zur Selbstsabotage wird. Und genau hier lohnt sich ein Perspektivwechsel.

Nonduales Bewusstsein unterscheidet klar zwischen Selbstfürsorge und Selbstbezug. Ersteres ist oft ritualisiert, äußerlich. Zweiteres beginnt im Innersten – in der ehrlichen Verbindung mit sich selbst. Das bedeutet auch: Erlaubnis statt Kontrolle. Wahrheit statt Perfektion. Echte Selbstfürsorge braucht keine Methode, sondern Mut, sich selbst ohne Bewertung zu fühlen.

Eine aktuelle Meta-Analyse mit über 15.000 Teilnehmenden zeigt deutlich: Menschen mit hohem Selbstmitgefühl erleben weniger psychische Belastung, mehr emotionale Ausgeglichenheit und ein gesteigertes Wohlbefinden (Baxter et al., 2024).

Auch eine deutsche Querschnittsstudie des Fraunhofer IAO bestätigt diesen Zusammenhang: Höheres Selbstmitgefühl und Resilienz korrelieren signifikant mit weniger Stresserleben und körperlichen Stresssymptomen. Ein klarer Hinweis auf den gesundheitlichen Wert emotionaler Selbstzuwendung. Rosa Koppelmann beschreibt es so: „Wirkliche Fürsorge beginnt, wenn ich nicht mehr an mir arbeite, sondern mich liebe, auch wenn nichts geht.“

Mythos 3: Deine Energie bestimmt deine Realität

Das klingt erstmal kraftvoll, schon fast magisch. Viele spirituelle Konzepte gehen davon aus, dass deine Energie alles beeinflusst: deinen Erfolg, deine Beziehungen, sogar dein Konto. Aber was, wenn du dich mies fühlst? Wenn du gerade durch eine Krise gehst, traurig bist, wütend, erschöpft? Nach dieser Logik würdest du dann Schlechtes „anziehen“. Die Folge: Schuldgefühle, Angst vor negativen Gedanken, emotionale Selbstzensur.

Dieser Mythos ist besonders tückisch. Denn er erzeugt subtilen Druck, immer „high-vibe“ zu sein. Er degradiert unangenehme Emotionen zu Fehlern, statt sie als natürlichen Teil des Lebens anzuerkennen. Das Ergebnis: innerer Stress unter spirituellem Deckmantel.

Nonduales Bewusstsein bietet hier einen radikalen Kontrast. Es geht nicht um „positive Vibes only“, sondern um Ganzheit. Wut, Angst und Zweifel gehören einfach dazu. Sie sind keine energetische Bedrohung, sondern Botschafter innerer Wahrheit. Wer sie fühlt, anstatt sie zu unterdrücken, erlebt Verbindung. Und genau darin liegt wahre Energie: nicht im Widerstand, sondern in der Erlaubnis.

Neurobiologisch ist das belegbar: Emotionale Authentizität reguliert das Nervensystem, fördert Klarheit und stärkt Selbstvertrauen. Statt Energie zu „manifestieren“, entsteht Resonanz. Weil du real bist, nicht perfekt.

Du bist kein Projekt

Selbstoptimierung verspricht Kontrolle, Wachstum und Erfolg. Doch oft hinterlässt sie das Gegenteil: Druck, Selbstzweifel und Entfremdung. Die drei neuen Mythen – Mindset als Allheilmittel, Selfcare als Pflichtübung, Energie als Erfolgswährung – zeigen, wie tief sich das Prinzip des „Mehr-Werdens“ in unser Denken eingegraben hat.

Doch du bist kein Projekt. Du bist ein Mensch. Kein System, das optimiert werden muss, sondern ein fühlendes Wesen, das sich erinnern darf: an innere Stille, an Wahrhaftigkeit, an Verbindung. Genau das bedeutet nonduales Bewusstsein. Nicht als Konzept, sondern als gelebte Erfahrung.

Rosa Koppelmann ist Mentorin für nonduales Bewusstsein und Entwicklerin der Rosa-Koppelmann-Methode. Ihr Ansatz verbindet spirituelle Tiefe mit neurobiologischer Fundierung – verständlich, erfahrbar und alltagstauglich.