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Ist Body Positivity out? Aktivistin Bobby Hermann-Thurner über Heroin-Chic & gefährliche Körper-Trends

Body Positivity-Aktivistin Bobby Hermann-Thurner vor einer Graffiti-Wand. Credits: Ursula Schmitz

Body Positivity-Aktivistin Bobby Hermann-Thurner vor einer Graffiti-Wand. Credits: Ursula Schmitz

Während die Body Positivity Bewegung noch vor kurzem mehr Vielfalt in die Medienlandschaft bringen wollte, häufen sich Berichte über “Abnehmmittel” wie Ozempic (Anm. der Red.: ein verschreibungspflichtiges Medikament, das zur Behandlung von Diabetes genutzt wird) und es werden Trends wie der Heroin Chic wiederbelebt, bei dem die Models – genau – mager und kränklich wirken. Es wird gefährlich, wenn der Körper zum Trend wird. Das weiß auch Body Positivity-Aktivistin Bobby Hermann-Thurner. Im Gespräch mit PlusPerfekt reflektiert sie über den gesellschaftlichen Wandel von Body Positivity, die Gefahr unsere Körper den Trends zu unterwerfen und über Fatphobia trotz Diversität auf den Laufstegen.

– Foto: Body Positivity-Aktivistin Bobby Hermann-Thurner | Credit: Ursula Schmitz –

Die Plus Size Bewegung startete vor gut zehn Jahren. Die ersten Plus Size Blogger|innen gaben Tipps zu Modelabels und Stylings, thematisierten offen die Probleme von Curvy Frauen, über die vorher nur geschwiegen wurde. Es folgten Influencer|innen auf Social Media, eine regelrechte Plus Size Community entstand. Die Body Positivity Bewegung, die seit einigen Jahren zunächst in Social Media und dann auch in der Gesellschaft immer stärker wurde, nahm positiven Einfluss. Die Modewelt reagierte: Viele Runways wurden diverser. Verstärkt sah man international Plus Size Models und die Altersgrenze für Models ging deutlich nach oben. Die Werbeindustrie greift den Ruf nach Diversity auf und zeigt zaghaft Plus Size Körper auch bei Themen, die nicht in direkter Verbindung zu Großen Größen Mode steht. Moralisch motiviert sind dabei die wenigsten Kampagnen, denn Body Positivity ist eine Marktlücke und sorgt primär für einen Umsatz-Boost.

Doch während endlich mehr Labels (ganz) langsam mit dem Gedanken von vielfältigen Körpern und Formen auf den Laufstegen warm werden, entsteht eine Trendwende. Ein Comeback der 2000er Jahre, samt ultra-knapper Y2K-Looks (Anm. der Red.: Y2K kommt aus dem Englischen und steht für das Jahr 2000) und Heroin Chic mit überschlanken, fast schon hageren Körpern. Neben dem sich langsam etablierenden Body Positivity-Mindset, propagieren viele Laufstege bereits die Rückkehr des Ultra Skinny Trends. Und damit über kurz oder lang auch die Rückkehr von Ultra Skinny in unseren Alltag.

Bobby, wie bewertest Du die aktuelle Entwicklung?

Bobby Hermann-Thurner:

Körper sind so unterschiedlich. Wir sprechen seit vielen, vielen Jahren darüber, dass es mehr Vielfalt in der Modebranche braucht, dass kein Körper beschämt werden sollte, dass dicke Menschen mehr gezeigt werden müssen. Y2K Modetrends sind das eine, die mögen einem gefallen oder auch nicht (Ob Hüfthosen oder Neon-Farben). Aber Körper sollten nie Trends unterlegen sein, niemals. Mein Körper ist kein Trend, so zu denken ist gefährlich für das eigene Wohlbefinden und kann zu Diskriminierung führen. Ob man jetzt dick oder dünn ist, breite Hüften hat oder sehr schmal ist – wir sind alle unterschiedlich und das ist gut so. Körperformen als „Trend“ auszurufen, diese Zeiten sollten wirklich vorbei sein. Das dem nicht so ist macht mich traurig und wütend.

Wie stark beeinflussen die Medien das, was wir optisch schön finden?

Bobby Hermann-Thurner:

Sehr stark. Nehmen wir zum Beispiel Social Media. 95 Prozent der Jugendlichen zwischen zehn und 18 Jahren nutzen soziale Medien, in etwa 5000 Bildern /Videos die sich Jugendliche hier pro Tag anschauen, werden aktuelle Schönheitstrends von Influencer|innen gezeigt und verbreitet. Das hat Folgen, wie Statistiken und Umfragen zeigen: Junge Menschen sind besorgt, was ihr Äußeres betrifft, fühlen sich dadurch sogar unter Druck gesetzt, es kommt häufiger zu Essstörungen.

Doch nicht nur Jugendliche werden von sozialen Medien in der Wahrnehmung ihres Körpers beeinflusst. Es betrifft uns schlicht alle. Auch Printmedien, Fernsehen, Radio – in jedem einzelnen Medium spielen unsere Vorstellungen von Schönheit und Körperidealen eine Rolle, beeinflussen was wir als schön oder eben nicht schön empfinden. Weshalb wir seit Jahren für mehr Diversität in der Medienlandschaft eintreten. Vielfalt zeigen, körperliche Unterschiede akzeptieren und zelebrieren – darum sollte es gehen. Der Zwang des „perfekten Körpers“ die Hochstilisierung von Schönheit – all dies schadet uns mehr, als es uns gut tut.

Hier sollten sich auch Medien viel mehr hinterfragen, Bild- und Wortwahl überdenken, denn sie haben großen Einfluss darauf, wie wir uns wahrnehmen.

Bobby Hermann-Thurner und Anna Stomosis in der Diskussionsrunde von Canal+ Austria zum Thema Gefährliche Body Trends.

Kann man sagen das ist alles fremdbestimmt oder haben wir auch selbst einen Anteil daran?

Bobby Hermann-Thurner:

Fremdbestimmt, nein es ist nicht alles fremdbestimmt. Allerdings ist es doch eine sehr komplexe Frage. Es wird uns nicht alles von den Medien aufgezwungen. Wir konsumieren, dadurch unterstützen wir eben diese Medien, die bestimmte Schönheitsideale verbreiten. Das ist aber eine sehr verkürzte Aussage. Denn Schönheitsideale werden nicht „nur“ durch Medien gemacht. Daran ist eine Vielzahl an Menschen und Vorgängen beteiligt: von Designer|innen über die Kosmetikindustrie bis hin zur Medizin.

So sehen wir und hören wir jeden Tag, wie wir sein sollten und was es dazu braucht. Diesen Kreislauf können wir aber auch selbst bestimmen. Was lesen wir, wem folgen wir auf Social Media – diese Fragen sollten wir uns alle stellen. Denn gerade wenn es um den Algorithmus auf Social Media geht kann ich auch ganz bewusst einen Einfluss darauf nehmen (bis zu einem gewissen Grad), was mir gezeigt wird. Diversen Menschen folgen, Zeitschriften lesen, die Diversität zeigen, Medien unterstützen die für Vielfalt eintreten, das sind Dinge, die ich ganz bewusst selbst in der Hand habe.

Was bedeutet das für die Body Positive Bewegung der letzten Jahre? War/Ist das eine nachhaltige Veränderung, die sich in den Köpfen verankert hat oder war sie nur innerhalb der Bubble eine Wunschrealität und wurde offline von der Gesellschaft gar nicht wirklich gelebt. Ist das ein massiver Rückschritt? Und war am Ende vielleicht alles umsonst?

Bobby Hermann-Thurner:

An schlechten Tagen denke ich mir manchmal: “Wozu ist das eigentlich gut, was haben die letzten Jahre gebracht?“ Das stimmt aber nicht. Denn es haben sich Dinge geändert. Doch der Reihe nach: ja, Bodypositivity ist ein durch soziale Medien vorangetriebener Begriff, der seit Jahren aber auch immer mehr außerhalb von Instagram & Co. aufgegriffen wird. Ob mir hier dabei alle Entwicklungen gefallen sei einmal dahin gestellt. Denn Fat Acceptance kommt mir hier viel, viel zu kurz. Der Begriff selbst allerdings verbreitet sich schon.

Es gibt Wisenschaftler|innen und Aktivist|innen, die sich für mehr Körpervielfalt einsetzen, die gegen Gewichtsdiskriminierung auftreten und das auch außerhalb von Social Media. Wir reden also darüber, deshalb war sicherlich nicht alles umsonst. Wir streiten auch darüber, was per se auch nicht schlecht ist. Leider wird es oft sehr schnell beleidigend wenn es um dicke Menschen geht. Diskussionen halte ich aber für wichtig und sinnvoll – gerne mehr davon. Auch in diversen TV-Formaten und in der Werbung können wir heute mehr dicke Körper sehen. Doch das darf nicht nur ein kurzes Aufflackern sein, weil es gerade Trend ist, denn wie wir aktuell merken verändert sich dieser Trend gerade.

Für eine nachhaltige Entwicklung ist es essenziell noch viel weiter zu denken. Es gilt Diskriminierung abzubauen, Konsum zu hinterfragen, Vorurteile zu bekämpfen. Denn Body Positivity ist eben so viel mehr als die Frage „Was ist schön?“. Es geht um einen gesamtgesellschaftlichen, systematischen Wandel. Darum, dass wir Körper nicht be- oder verurteilen und im Endeffekt auch darum, dass wir uns nicht so über unsere Körper, unser Aussehen definieren. Body Neutrality ist hier ein wichtiges Stichwort.

Die All Size Shopansicht zeigt Styles an unterschiedlichen Körpertypen. Hier das Label Good American von Khloe Kardashian.

„Körpertrends“ haben uns aber über all die Jahre nicht verlassen und bei allem Reden über Body Positivity ist der Begriff richtig weichgespült worden. Jetzt bist du in manchen Augen nur dann bodypositiv, wenn du auf dein Gewicht achtest, denn nur dann liebst du deinen Körper. Eine richtige Pervertierung des Begriffes und seiner ursprünglichen Bedeutung. So lange Body Positivity nur ein Begriff in Mode und Lifestyle bleibt, wird sich das meiner Meinung nach auch nicht bessern, es ist ein politischer Begriff und genau so sollte darüber diskutiert werden.

Prominente machen es vor: Der Körper wird wie eine Puppe behandelt, die man einfach ändern kann, wenn sie nicht mehr in den Zeitgeist passt. Brustimplantate rein, wenn Curvy in ist, Brustimplantate raus, wenn Skinny wieder Trend wird. Was sendet das für eine Message in einer Zeit, in der Gesundheit und ein gesundes Leben propagiert wird? Und Mehrgewichtigen häufig unterstellt wird, dass sie keinen gesunden Lifestyle pflegen.

Bobby Hermann-Thurner:

Je länger ich an der Antwort formuliere desto mehr fällt mir auf, wie traurig und furchtbar es ist, dass wir einigen Menschen solche Macht über unser Leben geben, darüber wie wir über unsere Körper denken. Darüber hinaus kommen mir bei diesen Fragen selbst viele Fragen in den Sinn:

Was ist Gesundheit genau, für wen ist sie wirklich erreichbar, wer hat Zugang zu den nötigen Mitteln? Geld – es ist eine Diskussion die sich sehr stark rund um das nötige Kapital dreht. Denn die permanente Veränderung des eigenen Körpers ist kosten- und zeitintensiv, darüber hinaus fatal. Wenn man sich das so überlegt, was hier eigentlich passiert – eine kleine Zahl an Menschen, die über das nötige Kapital verfügt, diktiert allen wie sie auszusehen und zu leben haben?

Je mehr ich mich mit dem Thema Fat Acceptance beschäftige desto mehr ist mir klar, dass es bei der Beseitigung der Vorurteile dicken Menschen gegenüber nicht einfach darum geht, dass man unser Aussehen akzeptiert. Es geht um so viel mehr, um einen Wandel in einem System, das dem Großteil der Menschheit schadet, von dem nur ganz wenige Menschen profitieren.

Es ist also nicht einfach eine Lifestyle-Frage, wir müssen darüber reden wie Geld den Wert unseres Lebens und unseres Körpers bestimmt und was das eigentlich bedeutet und zwar für uns alle, ganz gleich welche Körperform.

 

PlusPerfekt Edition Business & Wellbeing 2024 | Cover: Motsi Mabusi

Dreh- und Angelpunkt dieser Entwicklung sind die Designer|innen. Kannst du nachvollziehen, wieso sie Trends zu neuem Leben erwecken, deren Comeback noch vor ein, zwei Jahren undenkbar gewesen wären?

Bobby Hermann-Thurner:

Hm, ich bin keine Designerin und unterliege den entsprechenden kreativen Prozessen und Abläufen nicht. Für undenkbar halte ich allerdings ganz wenige Dinge. Denn leider war ja die fettphobische Haltung von Designer|innen nie wirklich weg. Auch wenn es mehr Diversität auf den Laufstegen gegeben hat. Es hat sich hier eigentlich viel zu wenig getan um zu einer nachhaltigen Veränderung zu führen.

Ein modisches Comeback bedeutet ja nicht, dass auch entsprechend einseitige Körperbilder und Vorurteile recycelt werden müssen. Man macht es sich gerne einfach und das nicht zu hinterfragen ist einfach – man macht einfach so weiter wie bisher und das ist traurig und ehrlich gesagt auch inakzeptabel.

Unsere Diätkultur wird heftig diskutiert und zweifelsohne scheint selbst der Letze begriffen zu haben, wie schädlich Diäten sein können. Dennoch sind zum Jahreswechsel oder zum Start der “Bikini Saison” die Zeitschriften und TV-Formte immer wieder prall gefüllt mit vermeintlichen Tipps rund ums Abnehmen. Woher kommt diese Angst vor diesem Abweichen von der Geschichtsnorm, dem eigenen Mehrgewicht bzw. der Fettfeindlichkeit unserer Gesellschaft?

Aus der Beantwortung dieser Frage kann man sicher gut ein ganzes Buch machen. Denn wie wir unser Gewicht wahrnehmen und warum wir ein mehr an Gewicht als so katastrophal sehen hat viele Gründe und einige davon liegen weit zurück. Wie beantworte ich das am besten kurz und nicht zu theoretisch?
Vielleicht so: Dass Diäten schädlich sind ist zwar einigen bewusst, aber ich fürchte lange nicht allen Menschen. Diäten scheinen vielen nach wie vor das beste Mittel zu sein, um den vermeintlich perfekten, schlankeren Körper zu erreichen. Es ist schon paradox, da liest man, wie schädlich und nicht nachhaltig Diäten sind und dennoch scheint es das probate Mittel um erreichen zu können, was man sich so sehr ersehnt. Schauen wir uns die Lebensrealität von mehrgewichtigen Menschen an, dann kann man es bis zu einem gewissen Grad sogar verstehen.

Denn: wer ist gerne anders? Wer ist gerne die Person, die jeder anstarrt, wenn sie einen Raum betritt? Wer ist gerne die Person, die in Restaurants Aussagen wie „brauchen sie das Dessert wirklich noch?“ zu hören bekommt? Wer mag es, wenn sich wildfremde Menschen auf der Straße dazu bemüßigt fühlen einem ungefragt Abnehmtipps zu geben? Wer geht gerne zu Ärzten|innen und hört als erstes „nehmen sie ab, dann haben sie keine gesundheitlichen Probleme mehr“? Wer geht gerne shoppen mit Freund|innen in dem Bewusstsein, dass alles womit man wahrscheinlich nach Hause kommt ein Schal oder ein paar Ohrringe ist, weil es einfach keine Klamotten in der passenden Größe gibt?

Wenn einem permanent gezeigt und gesagt wird, wie falsch man ist, dann sucht man Wege um „richtig“ zu sein, um keine Angst mehr haben zu müssen krank zu werden oder nie passende Kleidung zu finden. Die Wurzeln dieser tief in der Gesellschaft verankerten Fettfeindlichkeit liegen weit zurück. Rassismus spielt hier eine große Rolle (näheres dazu findet ihr in Büchern wie „Riot don’t diet” von Elisabeth Lechner oder auch “Fearing the Black Body: The Racial Origins of Fat Phobia” von Sabrina Strings).

Der dicke, fette, mehrgewichtige Mensch wird als nicht leistungsfähig gesehen und mit einer Unmenge an negativen Attributen verbunden. Vorurteile die sich seit Jahrhunderten weitergetragen haben. Dem gilt es einen Riegel vorzuschieben. Es macht mich so wütend, wenn ich darüber nachdenke, wie viel an Lebensfreude und Erfahrungen dicken Menschen genommen werden kann, weil es Menschen gibt, die bestimmt haben, dass ein mehr an Gewicht falsch ist.

Es gibt hier noch so viel zu tun, den gesellschaftlichen Blick auf dicke Körper zu verändern, Diskriminierung zu bekämpfen – dabei können wir uns gegenseitig unterstützen, uns Mut machen und aufstehen und nicht wegsehen, wenn wir Ungerechtigkeiten erleben.

Über Bobby Hermann-Thurner

Body Positivity-Aktivistin Bobby Hermann-Thurner im roten Kleid. | Credits: Ursula Schmitz

Als Plus Size Expertin widmet sich die Österreicherin Bobby Herrmann-Thurner unter anderem in ihrem eigenen Blogazine „Curvect“ ganz dem Thema dicke Körper. Dabei berichtet sie als Herausgeberin über neueste Modetrends, führt Interviews mit verschiedensten Persönlichkeiten über Körperakzeptanz und organisiert als Expertin Events und Workshops mit und für Menschen mit Plus Sizes. Außerdem hält sie Vorträge zu Themen wie: Bodyshaming am Arbeitsplatz, Gewichtsdiskriminierung im Beruf, Bodypositivity in Unternehmen usw. In ihrem Kampf gegen Gewichtsdiskriminierung macht die studierte Politikwissenschaftlerin vor politischen Institutionen nicht halt und setzt sich auch auf politischer Ebene für mehr Akzeptanz und gegen die Diskriminierung Mehrgewichtiger ein.

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