Warum sich Gesundheit nicht vom BMI ablesen lässt

In unserer Gesellschaft wird körperliche Gesundheit häufig mit Schlanksein gleichgesetzt. Dieses Bild hat historische, medizinische und kulturelle Wurzeln. Beispielsweise durch die Entwicklung des Body-Mass-Index (BMI), der heutzutage viele Kritiker hat.

– Foto: Kenny Eliason via Unsplash –

Parallel dazu etablierten sich in den Medien und der Werbewelt schlanke Körper als Idealbild von Leistungsfähigkeit, Attraktivität und Kontrolle. Mit dem Aufkommen der Diätindustrie und dem wachsendem Gesundheitsbewusstsein verfestigte sich die Vorstellung, dass ein geringeres Körpergewicht automatisch auch ein Indikator für Gesundheit sei.

Heute ist bekannt, dass Gesundheit vielschichtig ist und nicht allein vom äußeren Erscheinungsbild abhängt. Dennoch prägt die kulturelle Verknüpfung von Schlanksein und Gesundheit weiterhin das gesellschaftliche Denken.

Die Gesellschaft verknüpft Gesundheit oft mit Schlank sein. Wie entkoppelt man diese beiden Konzepte – besonders mit Diagnosen wie Bluthochdruck oder Diabetes?

Dr. Antonie Post: Das ist eine sehr gute Frage und je länger ich mich mit ihr befasse, umso überzeugter bin ich, dass wir die falsche Diskussion führen. Statt über Versorgung, Stress, Trauma, soziale Ungleichheit oder Zugang zu Gesundheitsversorgung zu sprechen, verengen wir Gesundheit auf eine ganz bestimmte Körperform – als ließe sich Wohlbefinden am BMI ablesen.

Das bringt niemandem etwas. Und es macht echte Veränderung sogar schwerer, weil es Scham erzeugt, Vermeidung fördert und viele aus dem Gesundheitssystem ausschließt. Gerade bei Diagnosen wie Bluthochdruck oder Diabetes ist es wichtig, den Fokus zu verschieben: Was stärkt meine Versorgung, meine Selbstwahrnehmung, meinen Umgang mit Stress und Bewegung? Ganz unabhängig davon, ob sich der Körper sichtbar verändert. Denn viele Verbesserungen passieren im Körper, nicht am Körper.

Wir sind gesellschaftlich mittlerweile so weit, dass wir Beschämungen und Stigmatisierung als gesundheitsschädlich anerkennen. Die Lösungen werden aber immer noch auf individueller Basis formuliert und bei chronischen Erkrankungen ist es dann häufig so, dass Angst geschürt wird („es ist jetzt fünf vor zwölf“) und sich die Person dann mehr anstrengen soll („jetzt nehmen wir die Gesundheit in die Hand und den Erfolg lesen wir an der Zahl auf der Waage ab“).

Was wir dabei aber vergessen ist, dass Gesundheit kein Körperideal ist, sondern ein Prozess – und der sieht für jede Person anders aus. Intuitive Ernährung, Körperrespekt, regelmäßige Versorgung, achtsame Bewegung und psychosoziale Sicherheit können Gesundheit fördern, ohne Gewicht in den Mittelpunkt zu stellen.

Es kann passieren, dass das Gewicht den Veränderungen im Lebensstil folgt und sich ebenfalls verändert – manchmal aber auch nicht. Aber das Entscheidende ist: Gesundheitsförderndes Verhalten wirkt unabhängig vom Gewicht. Wenn Menschen anfangen, sich regelmäßiger zu versorgen, mehr zu ruhen, Bewegung zu finden, die ihnen gut tut, besser zu schlafen, mitfühlender mit sich zu sein – dann verändert sich oft etwas im Körper. Nicht immer sichtbar, aber spürbar: stabilerer Blutzucker, besserer Blutdruck, mehr Energie, weniger Stress.

Der Irrtum liegt darin, diese Effekte dem Gewichtsverlust zuzuschreiben – obwohl es meistens die Verhaltensänderungen sind, die wirken. Wenn wir das anerkennen, wird klar: Es ergibt keinen Sinn, das Gewicht als Ziel zu behandeln. Es ist eher ein Nebenprodukt – manchmal. Und nicht mal ein notwendiges. Diese Sichtweise betrachtet Gesundheit unabhängig von der Körperform – und schafft endlich Raum für Maßnahmen, die wirklich helfen. Und die allen Menschen zugänglich sein sollten – unabhängig davon, wie sie aussehen.

Ich bin mir nicht sicher, ob wir diese Verknüpfung wirklich entkoppeln können, aber vielleicht reicht es, wenn wir die Diskussion beharrlich in eine neue Richtung lenken. Weg von der Gleichung weniger Gewicht bedeutet mehr Gesundheit hin zu: Was brauchen Menschen wirklich, um sich gut versorgen zu können? Das ist die Frage, die weiterführt.