Mode-Mindset: Die Deutschen und die Mode – eine Liebe mit Hindernissen

Stell dir vor, du siehst beim Shopping ein Lieblingsstück, das dein Herz höher schlagen lässt. Es hat genau die Farbe, die du suchst, es passt perfekt zu deinem Style. Doch dann der Albtraum. Deine Konfektionsgröße passt dir bei dieser Marke nicht. Der Blazer zwickt unter den Armen, die Schnittführung ist eine einzige Beleidigung. Willkommen in der deutschen Mode-Realität, einer Welt, in der der Pragmatismus den Catwalk regiert und die Suche nach der perfekten Passform zu einer olympiareifen Sportart avanciert ist.

Eine aktuelle Studie von Ulla Popken seziert das deutsche Mode-Herz und fördert Erstaunliches zutage. Wir haben die Daten studiert, zwischen den Zeilen gelesen und kommen zu einem klaren Fazit: Die deutsche Frau ist die heimliche Königin des unterkühlten Stils. Sie lässt sich von Fashion weder beeindrucken noch blenden, sie kauft mit Verstand. Und, sie hat die Nase gestrichen voll von Kleidung, die nicht für echte Körper gemacht ist.

Der deutsche Mann – die heimliche Label-Queen

Während wir Frauen uns mit nachhaltigen Basics und zeitlosen Schnitten beschäftigen, trägt der deutsche Mann seine Markenaffinität als Statement zur Schau. Fast jeder dritte Mann nutzt Kleidung bewusst als Statussymbol, bei den Frauen ist es nur jede Fünfte. Ist es die ultimative weibliche Souveränität, die uns von Logos immer weniger beeindrucken lässt; während er sich mit Patagonia, Ralph Lauren oder New Balance schmückt?

Unser provokantes Fazit: Liebe Männer, bitte mehr davon! Wenn ihr schon die teuren Marken kauft, haltet bitte auch die Qualitätsstandards hoch. Wir leihen uns eure Pullis sonst nicht mehr aus.

Die Midlife-Passform-Krise ist real & sie ist weiblich

Hör auf, an dir zu zweifeln! Die Popken-Studie zeigt, die Passform-Krise ist kein Nischenproblem. Fast jeder Vierte hat „häufig“ oder „immer“ Passform-Probleme. Besonders betroffen ist die wirtschaftsstarke Gruppe der 35- bis bis 54-Jährigen (bis zu 28 Prozent). Bei einem Kriterium, das für fast 48 Prozent der Frauen und 38 Prozent der Männer kaufentscheidend ist, stellt sich die Frage nach der Leistungsfähigkeit der gesamten Branche. Ja, du liest richtig. Die Lebensphase, in der wir beruflich und privat am stärksten sind, ist modisch betrachtet für viele eine Frust-Zone. Während die Gen Z sich in Oversized-Blazern versteckt und die Generation 55plus im bequemen Landhauslook angekommen ist, kämpft die tragende Säule der Gesellschaft mit Ärmeln, die zu kurz sind, mit Blusen, die über dem Rücken spannen und mit kneifenden Hosen.

Unser Fazit: Es liegt nicht an dir, es liegt an der Industrie! Wir fordern Schluss mit dem Größen-Wirrwar. Eine Konfektionsgröße 44 sollte eine Konfektionsgröße 44 sein, egal von welchem Label sie designt oder produziert wurde. Mode sollte endlich zu den Körpern passen, und nicht umgekehrt.

Lässig-praktisch: Style-Verbrechen oder Superkraft?

43 Prozent der Frauen und 38 Prozent der Männer in Deutschland beschreiben ihren Stil als „lässig und praktisch“. Was von außen nach Bequemlichkeit aussieht, könnte wohlwollend auch als eine hochkomplexe Stil-Formel bezeichnet werden. Es ist die Kunst, oder auch der Versuch, im Home Office im Cashmere-Pulli meetingtauglich zu sein, beim Elternabend in der perfekt sitzenden Jeans lässig-elegant zu wirken und beim Abendessen im Seidenbluse-zur-Jogginghose-Look (warum nicht?) chic auszusehen. Ein Stil, den man nicht als faul bezeichnen sollte, nennen wir ihn besser effizient. Und er wird mit dem Alter noch stärker: 53 Prozent der 55- bis 65-Jährigen lassen sich von äußeren Erwartungen kaum noch beeindrucken, was nicht immer ein beneidenswerter Zustand ist.

Unser Fazit: Der „German Casual“ ist selbstbewusst, unprätentiös und schwer zu kopieren, wenn er überhaupt von den Fashionistas unserer modeaffinen Nachbarländer kopiert werden möchte.

Das Nachhaltigkeits-Paradoxon

Nachhaltigkeit ist kein Jugendtrend, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft relevant. Die Generation der 35- bis 44-Jährigen treibt sie sogar etwas stärker voran als die medial präsentere Gen Z. Vergiss das Narrativ, Nachhaltigkeit wäre ein Jugend-Phänomen.

Die Studie zeigt, bewusste Mode wird mit zunehmender Lebenserfahrung und Kaufkraft zur Priorität. Qualität und faire Produktion sind keine Nice-to-Haves, sondern Essentials. Besser weniger kaufen, aber besser. Es wird in Kleidung investiert, die hält und zu den eigenen Werten passt.

Deutschland vs. Frankreich

Der Vergleich mit unseren französischen Nachbarn ist erhellend. Während die Franzosen Mode eher als Kunstform betrachten (26 Prozent vs. 17 Prozent), ist sie für 60 Prozent der befragten Deutschen Identitätsarbeit. Und der größte Unterschied? Die Passform! Sie ist uns als Kaufkriterium fast doppelt so wichtig wie den Franzosen (43 Prozent vs. 21 Prozent). Vielleicht, weil wir nicht mit einem lässigen „Ouh la la“ über einen schlechten Sitz hinwegsehen können. Wir stehen eben nicht nur bei Autos auf Präzision, sondern auch im Style.

Das große Finale

Die Studie zeigt eindeutig, dass die deutsche Mode-Seele von Widersprüchen geprägt und komplexer als oft angenommen ist. Sie will Individualität, aber ohne Aufwand. Sie liebt Qualität, hasst aber überhöhte Preise. Sie leidet unter Passform-Problemen, ohne den Anspruch auf Perfektion aufzugeben. Sie will Stil, der alltagstauglich funktioniert. Mode, die mitgeht. Und eine Passform, die keine Glückssache mehr sein darf.

Höchste Zeit also für Unternehmen, die Passform-Problematik durch stringente Größentabellen und erweiterte Größenvielfalt zu lösen.

Über die Studie

Die Erkenntnisse basieren auf einer repräsentativen Befragung, die Appinio im April 2025 im Auftrag von Ulla Popken unter 1.000 Deutschen ab 18 Jahren durchgeführt hat. Die Stichprobe ist nach Alter, Geschlecht, Bildung und Region repräsentativ zusammengesetzt. Zur internationalen Einordnung zeigt eine Parallelbefragung in Frankreich kulturelle Kontraste im Modeverständnis auf.