Sonne, lange Strände, Meeresrauschen, Cocktails an der Bar, romantische Sommerabende, Sonnenuntergang, Schmetterlinge im Bauch … Alles das macht für mich den Sommer aus. Rein statistisch gesehen lernen sich die meisten Paare im Sommer kennen und lieben. Grund genug, mich in diesem Frühling mit den Themen Liebe, Beziehung und Sexualität auseinanderzusetzen. Über den Sommer verteilt findet ihr an dieser Stelle meine Kolumne “Let’s talk about …”
Im ersten Artikel widme ich mich der Sexualität. Dafür habe ich ein Interview mit der Sexual- und Paarberaterin Ann-Marlene Henning geführt. Sie ist Sexologin, Paartherapeutin und Autorin. Sie lebt und arbeitet in Hamburg, führt dort ihre Praxis „Doch Noch“. Einige von euch kennen sie vielleicht aus dem Aufklärungsformat „Make Love – Liebe machen kann man lernen“. Ich finde das Format sehenswert und möchte es euch ans Herz legen. Mehr dazu unter make-love.de.
Die sympathische Dänin bringt eine gute Portion nordischen Humor mit und zeigte sich im Interview gesprächig. Mit ihrer offenen und direkten Art sprachen wir über Sexualität, Körpernormen und Body Positivity. An dieser Stelle noch einmal einen herzlichen Dank für das inspirierende Gespräch.
Let’s talk about Sex
Aus ihrer Berufspraxis weiß Ann-Marlene Henning, dass es zumeist Frauen sind, die große Schwierigkeiten haben, ihren Körper zu akzeptieren. Diese Tatsache hat natürlich weitreichende Folgen für die weibliche Sexualität und spiegelt sich in dieser wider. Da sei es auch egal, welche Kleidergröße Frau trage. Das reiche von einer XS bis hin zu einer XXL. Wenn man meine, diese Problematik betreffe nur Frauen mit mehr Gewicht, dann ist dies weit gefehlt. Frauen lehnen oftmals ihren ganzen Körper ab und dazu gehören erschütternder Weise auch die Genitalien. Ann-Marlene sagt, sie beobachte, dass gerade das weibliche Geschlecht dazu neigt, sich mit dem Optimum zu vergleichen. Und das Optimum in unserer Kultur ist nun mal das retuschierte Size Zero Model auf der Titelseite der gängigen Frauenzeitschriften, die über tausend Mal täglich über die Ladentische gereicht werden.
Besonders erschreckend findet sie die Schaufensterpuppen, die ihrer Meinung nach eher einer Figur eines 9 bis 13-jährigen Mädchens entsprächen. „Wie dünn soll eine Frau sein?“, fragt sich Ann-Marlene. Dass ein solches Selbstverständnis, oder besser gesagt Unverständnis, nicht dazu führt, dass eine Mehrzahl der Frauen sich ungeniert fallen lassen können, um ihre Weiblichkeit und Sexualität in vollen Zügen genießen und zelebrieren zu können, liegt für mich auf der Hand.
Aber trotzdem, auch Frauen wie du und ich haben Sex – und vielleicht auch richtig guten.
Die gängige Praxis beim Sex ist nach wie vor die Missionar-Stellung. Er liegt oben, sie unten. Für Menschen mit mehr Gewicht grundsätzlich eine ungünstige Stellung, so Ann-Marlene. In diesem Fall für den Mann eine echte Herausforderung. Das eigene Körpergewicht mit den Armen zu stemmen hört sich für mich eher wie eine sportliche Disziplin an und erinnert weniger an Erotik und Genuss. Ann-Marlene schlägt da ganz praktisch die Beinschere vor, bei der man sich mit höchstem Genuss ohne viel Anstrengung lieben kann. Bei diesem Liebesspiel liegen sich beide Partner gegenüber, während die Beine wie bei einer Schere aufeinander liegen. Was sich kompliziert anhört, ist in der Praxis, gerade wenn beide Partner fülliger sind, eine durchaus sinnliche Stellung. Zu den eher gewichtsfreundlichen Stellungen gehören auch die Hündchenstellung und das Löffelchen.
„Vieles konzentriert sich beim Sex auf den Geschlechtsakt“.
Und hier hat es Ann-Marlene für mich auf den Punkt gebracht. Sex ist so viel mehr als eine “Rein- und Rausnummer”. Die Sexologin spricht in diesem Kontext von Ganzkörpersex, bei dem es darum gehe, den gesamten Körper im Liebesspiel mit ein zu beziehen. Es gibt so viele erogene Zonen am Körper, so viele Spielvarianten, die es zu erforschen gilt.
In der Sexualität stehen sich Frauen häufig selber im Weg, weil der Fokus auf den vermeintlichen Makeln liegt, anstatt sich als sexuelles Wesen lustvoll zu erleben. Den Körper lustvoll zu entdecken, ob mit oder ohne Partner heißt auch, sich frei zu machen und den Körperidealen Ade zu sagen. Im Zweifel, so Ann-Marlene, könne man das Licht ausmachen und sich im Dunkeln dem Liebesspiel widmen. Hier gingen zwar visuelle Reize verloren, dafür kämen jedoch neue Reize hinzu oder intensivieren sich. Ich kann meinen Partner im Dunkeln Fühlen, Schmecken und Riechen und ihn somit noch einmal mit anderen Sinnen neu erleben. Auch dies kann ein großer Gewinn sein.
Zurückblickend auf das äußere Erscheinungsbild, an dem sich Frauen häufig messen, vergessen wir oftmals, uns die Frage nach unserem sexuellen Selbstwert zu stellen. Den sexuellen Selbstwert nur auf unser Aussehen zu beschränken wäre fatal. Wir sind so viel mehr als das Gewicht auf der Waage oder als unser Bauchumfang. Vielleicht seid ihr eine sehr sinnliche Person, die es versteht zu verwöhnen oder die es versteht, verwöhnt zu werden. Schaut doch mal selber, welchen sexuellen Selbstwert ihr an euch entdeckt.
Grundvoraussetzung für ein erfülltes Sexleben, so die Sexualberaterin, ist zunächst das Wissen über Sexualität. Darüber hinaus muss ich mich selbst sexuell fühlen und mich trauen eine sexuelle Ausstrahlung zu haben. Es geht hier um innere Schönheit und Lebendigkeit. Ann-Marlene hat für sich eine ganz eigene Definition bezüglich Ausstrahlung. Für sie ist das das Wissen über sich selbst. Dazu gehöre auch den eigenen Körper anzunehmen und sich in ihm wohl zu fühlen. Ebenso spiele die Körperhaltung hierbei eine bedeutende Rolle. Wenn man sich selbst nicht als sexuelles Wesen begreift, strahlt man dieses auch nicht nach Außen und verhält sich entsprechend. Aus ihrer Tätigkeit als Beraterin weiß sie, dass viele Frauen beispielsweise kleiner wirken möchten, als sie tatsächlich sind. Zu versuchen den Körper zu verstecken, Haltungen einzunehmen, die uns vermeintlich kleiner machen, bewirken jedoch eher das Gegenteil von dem, was wir uns eigentlich tief im Inneren wünschen.
An einem positiven Selbstbild zu arbeiten bedeutet auch, Hürden zu überwinden und alte Verhaltens- und Denkmuster über Bord zu werfen oder zumindest ein Stück weit hinter sich zu lassen. Manchmal gestaltet sich dieser Weg ziemlich hartnäckig. Ann-Marlene rät in den schwierigeren Fällen zu einer Psychotherapie, bei der ihr zusammen mit dem/der Therapeut/in neue Wege für euch entdecken könnt.
Auch wenn Ann-Marlene eine voll-schlanke Frau ist, weiß sie aus ihrer Tätigkeit als Model, unter welchem gesellschaftlichen Druck Frauen heutzutage stehen. Sie selbst hatte nie das Gardemaß einer französischen 36. „Na und?“ sagte sie mir lässig.
„Männer stehen sowieso nicht auf Bohnenstangen. Sie wollen Hintern, Busen und was zum Anfassen.“
Und diesen Spruch, liebe Ladys, sollten wir uns ganz dick hinter die Ohren schreiben.
Ann-Marlene schaut mit mir zusammen auf andere Kulturen und schwärmt davon, wie z. B. Afro-Frauen ihre Rundungen betonen und jedes Kilo mit Würde tragen. „Das finde ich richtig herrlich, wenn sie vor sich hinstrahlen“. Sie selber hält nichts davon, gesellschaftliche Ideale zu erfüllen. „Was nützt es mir, wenn ich mich abhungere oder Idealen hinterher renne und in Folge verhärmt bin?“
Ich habe gelernt, dass Sexualität viel mit Lebensfreude und Ausstrahlung zu tun hat. Deshalb, lasst uns den Sommer in vollen Zügen genießen und in den lauen Sommernächten Leben, Lachen und Lieben.
Ann-Marlene Henning
studierte an der Universität Hamburg Neuro-Psychologie, bevor sie in ihrer Heimat Dänemark als Psychologin zu arbeiten begann. Später absolvierte sie dort und in der Schweiz das Studium der Sexologie und Paartherapie. Heute arbeitet sie in Hamburg als Paar- und Sexualtherapeutin.
„Make Love – Ein Aufklärungsbuch“ ist ihr erstes Buch. Es wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2013 nominiert. Im Jahr 2014 folgte „Make More Love – Ein Aufklärungsbuch für Erwachsene“. „Liebespraxis – eine Sexologin erzählt“, erschien 2017 bei Rowohlt. Ebenfalls bei Rowohlt veröffentlicht wurde im Herbst 2018 „Männer – Körper. Sex. Gesundheit.“, ein Buch für alle, die sich für Männer interessieren.
Die TV-Dokumentation „Make Love – Liebe machen kann man lernen“ mit Ann-Marlene Henning im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wurde für den Deutschen Fernsehpreis 2017 in der Kategorie Bestes Infotainment nominiert, die Website des Formates für den Grimme Online Award 2014. Ihr neuestes Projekt ist das erotische Kartenspiel DOCH!DOCH!DOCH!
Über die Autorin
Dunja Katharina Wermter ist Diplom-Pädagogin. Sie arbeitet freiberuflich als Supervisorin/Coach, Dozentin und Autorin. Für PlusPerfekt schreibt sie über unter anderem über Body Positive und Psyche.
Header: Ann-Marlene Hening | Credits: Nele Martensen