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Interview: Angelina Kirsch über hypnotisierte Kaninchen, Kritik und Zukunftspläne

Sie ist Deutschlands prominentestes Plus Size Model und bekannt als Moderatorin von Curvy Supermodel. Sie trotzt den Kritikern und tanzt sich 2017 bei Let’s Dance ins Finale, rockt als Buchautorin die Kurven und so manchen Runway. PlusPerfekt sprach mit Angelina Kirsch beim Fashion & Style Event von Sheego.

Angelina, Du bist längst nicht mehr “nur” Model, sondern eine Person des öffentlichen Lebens. Wie geht es Dir damit?

Angelina Kirsch: Ich freue mich natürlich sehr, dass ich diese ganzen tollen, neuen Aufgaben und Herausforderungen bekomme. Weil ich merke, es ist nicht nur etwas, das mir gefällt und mir etwas gibt, ich kann damit auch anderen Frauen so viel mehr geben. Ich bekomme Zuschriften von Frauen, die sagen: „Danke, dass du jetzt in der Öffentlichkeit bist und mit deiner Art für uns kurvige Frauen einstehst. Dass wir eine Lobby haben, wir uns nicht mehr verstecken müssen, uns zeigen dürfen und es sogar ein Trend geworden ist, es sogar schick und angesagt ist, dass man Kurven hat.“ Das ist natürlich ganz toll und gibt mir so viel.

Was macht Dir mehr Spaß, TV-Shows oder der Runway?

Angelina Kirsch: Ich finde, es hat beides was. Natürlich erreichst du mit einer TV-Show ganz, ganz viele Leute. Die sehen das, die finden das toll, die fühlen sich inspiriert. Aber so Tage wie heute, wo ich auf dem Runway bin und danach mit den Gästen in Kontakt komme, das finde ich einfach so schön. Ich liebe es zu sprechen, ins Gespräch zu kommen und einfach richtig zu fühlen, was für ein Ruck durch die Gesellschaft geht. Was für eine Selbstverständlichkeit, was für eine Freude, was für ein Selbstbewusstsein die kurvigen Frauen bekommen und wie sie förmlich “explodieren”, wenn sie vor einem stehen. Das finde ich so toll.

Wie lange dauert es noch, bis diese Selbstverständlichkeit auch bei den Leuten „auf der Straße“ angekommen ist?

Angelina Kirsch: Ich glaube, bei vielen ist es schon angekommen. Es kommt auch immer auf die Menschen an, die man trifft. Es gibt sicherlich Menschen, die mit sich selbst unsicher sind und es nicht leiden können, wenn andere plötzlich so einen Aha-Moment erleben. Dann ist es auch – glaube ich – oft eine Frage der Gesellschaftsschicht. Ich erlebe es zum Beispiel, dass viele Ältere sagen, Mensch, das ist doch aber nicht so gesund und die auch mal die Nase rümpfen. Oder ganz junge Leute, die sich noch finden müssen und selbst nicht wissen, wo gehöre ich hin.

Sie versuchen, sich über andere lustig zu machen, damit sie sich besser fühlen.

Ich glaube, es ist ein allgemeines Phänomen. Natürlich ist es schade, dass es dann auf die Figur geht und kurvige Frauen die ersten Opfer sind, aber ich denke Mobbing ist ein Thema, das viele betrifft und man nur mit eigener Stärke wettmachen kann. Egal, ob ich klein oder ganz groß bin, eine lange Nase habe, oder für was auch immer man gemobbt und gehänselt wird. Dann ist es an einem selbst, die innere Stärke zu haben. Und ich glaube wir sind auf einem sehr, sehr guten Weg. Wenn jetzt noch durch die Modeindustrie, die Werbeindustrie … mehr Selbstverständlichkeit für Kurven und für die „normale“ Frau einkehrt, dann wird es auch in der Gesellschaft ankommen.

Es kommt einem so vor, als würden jetzt häufiger Curvy Models gesucht. Wie ist deine Wahrnehmung?

Angelina Kirsch: Gebucht wurden Curvy Models schon immer gut, aber die Nachfrage hat sich nicht so sehr auf den deutschen Markt oder die deutschen Models fixiert, weil es schlicht weg noch so wenige Curvy und Plus Size Models gibt. Die Nachfrage ist da. Momentan kommen viele Models aus dem Ausland, wir haben auch hier heute Abend Mädchen aus den Niederlanden, aus Amerika, aus England. Und schöner ist es eben für die Kunden, wenn sie die Models hier im Land haben. Die Nachfrage ist da, das wurde erkannt und dementsprechend natürlich jetzt gecastet, gecastet, gecastet, damit man die Nachfrage auch stillen kann. Und es laufen ja auch so viele schöne Mädchen rum. Ich glaube, es hat auch etwas damit zu tun, dass das Bewusstsein dafür geschaffen wurde, dass junge Mädchen überhaupt auf die Idee kommen und sagen: „Hey, ich könnte das doch machen, das wäre doch vielleicht ein Job für mich.“

Du bist häufig im TV unterwegs …

Angelina Kirsch: Ja, das ist natürlich ganz aufregend. Überhaupt erst mal im Fernsehen zu sein ist total aufregend, ist es für mich jedes mal. Ich sitze jedes mal davor wie ein hypnotisiertes Kaninchen und denke mir: „Okay, du weißt nicht mehr was du gesagt hast, was hast du gesagt? Oh mein Gott, das hast du gesagt. Wow, das klang jetzt aber schlau.“ Also manchmal ist es wirklich ganz surreal. Und Let‘s Dance war eine ganz besondere Herausforderung für mich, weil es da eben auch körperlich an die Grenzen ging und ich mich in einem Metier bewegt habe, in dem ich mich nicht aus kannte. Das macht dann auch wieder etwas mit einem, auch mit dem Selbstbewusstsein. Ich habe da ein ganz neues Selbstbewusstsein bekommen. Diese Beleidigungen am Anfang, bei denen mein Partner Nachrichten bekommen hat, wie: „Hey, pass auf, dass du dir keinen Bruch hebst … “, da lache ich im normalen Leben drüber, aber wenn man nicht weiß: Kann ich das? Sehe ich dabei gut aus oder sieht das überhaupt nach Tanzen aus, dann verunsichert das und trifft einen auch. Das war für mich eine Reise, bei der ich nochmal ein neues Selbstwertgefühl entwickeln konnte, wo ich mich natürlich auch viel mit meinem Körper auseinandergesetzt habe.

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Jeder hat mit Argusaugen geguckt: Nimmt sie jetzt ab? Nutzt sie diese Show, wie viele andere Frauen, um ein Abnehm-Camp draus zu machen? Das war natürlich ein Ding, das ist Gott sei Dank nicht passiert ist. Ich habe nicht abgenommen, auch wenn natürlich viele darauf gewartet haben. Auf der anderen Seite sind dann die, die sagen: „Hey, warum hast du denn nicht abgenommen? Das ist doch schade, das hättest du doch machen können.“ Wo ich mir dann denke: „Man, ihr habt das einfach nicht verstanden.“

Dann noch dazu die Kritik „So kann ein Mensch doch gar nicht sein, wie die ist. Das ist doch alles aufgesetzt, das ist doch nicht echt.“ Also wirklich nochmal Identitätsfragen: Wie zeige ich mich? Zeige ich mich wirklich so, wie ich bin? Traue ich mich das? Ich habe dann einfach den Mut gehabt zu sagen: „Ja, traue ich mich. Wem es nicht passt, der soll nicht für mich anrufen.“ Und ich habe es ins Finale geschafft, woran ich nie geglaubt hätte. Was ich mir aber natürlich gewünscht habe, weil das Tanzen mir so Spaß gemacht hat. Da brenne ich total für, das ist eine riesen Leidenschaft geworden. Hätte ich nicht gedacht. Ich tanze nach wie vor und habe einen tollen Tanzpartner gefunden, den ihr bestimmt kennt. Es ist Oliver Tinken, der auch bei Curvy Supermodel mit in der Jury saß. Er ist mein Tanzpartner und mit ihm tanze ich aus Leidenschaft, weil es Spaß macht. Ich darf sogar hin und wieder auftreten, das ist richtig toll. Ja, das hat mir was gegeben und mich gelehrt, wirklich nochmal einen Schritt weiter zu gehen und die Ohren für mich selbst zu spitzen und für die Leute, die mir nichts Gutes wollen, einfach taub zu sein.

Wo siehst Du Dich in zwei Jahren?

Angelina Kirsch: Also das Moderieren oder Sprechen vor Menschen, mit Menschen, für Menschen, das macht mir sehr viel Spaß. Ich merke, ich kann damit etwas erreichen. Ich bin nicht nur ein Gesicht, nicht nur ein schönes Kleid oder eine schöne Frisur, sondern ich kann etwas vermitteln. Ich kann etwas mitteilen und Menschen inspirieren. Von daher würde ich mich sehr freuen – und peile das auch an – wenn es in Moderations-Sachen noch weiter geht. Und da habe ich auch Lust, von der Talk-Show hin bis zur großen Gala.

Da sehe ich mich überall, weil es einfach mein Ding ist.

Weil ich mich dafür begeistern kann und finde, gerade von diesen großen, schönen Galas gibt es viel zu wenige. Es muss doch mehr Möglichkeiten geben, sich mal richtig aufzubrezeln. Und was wird es erst bringen, wenn eine Frau wie ich, mit Kurven, da vorne vor all den Leuten steht und zu ihnen spricht. Alle schauen hin, viele Frauen werden sagen: „Wow, das könnte auch ich sein. Sie ist das Mädchen von Nebenan, sie ist wie ich. Also könnte ich das auch sein.“ Das ist dann nicht nur ein Gewinn oder ein tolles Erlebnis für mich, sondern auch für alle anderen.

Was möchtest Du unseren Leserinnen mit auf den Weg geben?

Angelina Kirsch: Ich habe so vieles zu sagen. Das Wichtigste ist:  Macht weiter so. Seid stark. Jede von euch spürt es schon, lasst es raus. Lebt es aus und genießt es. Genießt das Leben und genießt die Mode. Wir sind jetzt schon dabei, wir haben das erste Steinchen ins Rollen gebracht und wenn wir alle so weiter machen, dann wird so viel Gutes für uns passieren. Ich bin total stolz, dass alle zusammen aufstehen und diese Körperrevolution starten und sagen: „Hey, wir sind schön und wir wollen uns das jetzt nicht mehr von anderen vorschreiben lassen.“

Body Love, Diversity … Frauen sollten zusammenhalten. Trotzdem kommen Zwischenrufe wie: Curvy ist schön, Plus Size nicht. Wie siehst Du diese Entwicklung?

Angelina Kirsch: Ich finde es grundsätzlich schwierig, mit Labels umzugehen. Wir sind alle Menschen, wir sind alle Frauen und ich finde es einfach schade zu sagen: „Die ist Plus Size, die ist Curvy. Und Curvy ist jetzt schön, Plus Size aber nicht.“ Genauso gut können wir in die andere Richtung blicken und sagen: „Hey, magersüchtig und Skelett ist auch nicht schön.“

Ich finde es schade, dass es diese Kategorien geben muss, und dass wir uns in diese Kategorien einteilen lassen.

Es ist wichtiger zu sehen: Das ist ein Mensch, das ist eine Frau und sie ist schön. Und jede Frau hat ihr Schicksal und jede hat irgendwie ihr Päckchen zu tragen. Man weiß nie, was passiert ist, was sie an diesen Punkt gebracht hat. Deswegen finde ich es schade, Frauen so zu degradieren und zu entmutigen, anstatt zu sagen: „Du bist toll“ und sich gegenseitig aufzubauen und Komplimente zu machen. Sicherlich dürfen auch nicht alle Sachen unkommentiert bleiben, das sehe ich auch so. Aber es geht um die Art und Weise, wie man es macht. Meine Mutter hat immer gesagt: „Der Ton macht die Musik.“ Man kann es nett sagen und man kann es abwertend sagen. Ich finde es schade, wenn gerade Frauen untereinander anfangen, sich die Augen auszuhacken. Wir sollten uns doch lieber unterstützen.

Da hast Du vollkommen Recht. Vielen Dank!

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